Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

12 Erster Abschnitt: Grundlagen des Staatswesens. 5. 
  
ausdrücklichen Anerkennung der Souveränität seiner Mitglieder. Die Annahme des 
Königstitels sollte das entsprechende äußere Zeichen sein. Aber die Frage: Staat oder nicht, 
ist keine, die sich nach solchen Kundgebungen und Rechtsformulierungen schlechthin ent- 
schiede; auf die Tatsache der Unabhängigkeit kommt es an und die ist gegenüber dem 
Protektorate Napoleons nicht zweifelsfrei.)) 
Umgekehrt war das alte Reich einmal ein wirklicher Staat gewesen und trug den 
Namen und die Formen eines solchen noch bis an sein Ende zur Schau. Neben dem auf- 
rechterhaltenen Schein des Lehensverbandes und Nachwirkungen der alten Reichsunmittel- 
barkeit im Rechte der landesherrlichen Familien bestand noch das eine oder andere gemein- 
same staatsrechtliche Institut von mehr oder weniger Bedeutung; namentlich auf dem 
Gebiete der Justiz. Aber den größeren Territorien gegenüber, die in sich die Kraft hatten, 
ein Staat zu sein, war das alles nicht mehr wirksam genug, um seinethalben das Vorhanden- 
sein einer vollen und unabhängigen Staatsgewalt zu verneinen. Die Entwicklung hat sich 
natürlich schrittweise vollzogen. Will man einen festen Punkt bestimmen, wo die Sache 
als entschieden gelten kann, so darf man sich an den dreißigjährigen Krieg und den west- 
fälischen Frieden halten, der die reichsrechtliche Anerkennung des freien Bündnisrechtes 
der deutschen Einzelstaaten gebracht hat. Von diesem Punkte an spätestens werden wir 
auch Sachsen als einen Staat betrachten müssen.2) 
Auf der anderen Seite ist die Staatseigenschaft der deutschen Länder in Frage gestellt 
worden mit Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zum Norddeutschen Bunde und 
nachher zum neuen Deutschen Reiche. Das Schlagwort „Bundesstaat“ hat hier 
viel Unklarheit verschuldet, sei es, daß man sich verpflichtet glaubte, dementsprechend das 
Reich allein für einen Staat zu erklären, sei es, daß man einen Staaten-Staat konstruierte, 
das Reich als Oberstaat, die Glieder als Unterstaaten, nichtsouveräne Staaten — was am 
Ende doch nur hinausläuft auf eine schonendere Bezeichnung für Nicht-Staaten. In 
Wirklichkeit besteht aber zwischen dem jetzigen Deutschen Reich und dem alten Deutschen 
Bund keine so tiefgehende Verschiedenheit ihres rechtlichen Wesens. Ein Bund ist auch 
das Deutsche Reich und nennt sich bekanntlich von Haus aus selbst so. Nur ist bei ihm — 
zum Segen Deutschlands — die Bundesgewalt viel kräftiger entwickelt. Das ist ein Grad- 
unterschied, nichts anderes. Denkbar ist ja, daß bei einer solchen Verstärkung der 
Einheit der große Umschlag eintritt und aus dem Bunde ein Staat wird. Die republika- 
1) Die richtige Bezeichnung für die Rheinbundstaaten wird doch sein die als französische Neben- 
länder. Die Rheinbundsakte selbst ist ja nie ins Leben getreten, nur das Protektorat Napoleons 
wurde verwirklicht, ein „staatsrechtliches“ Protektorat mit harten Geld= und Blutsteuern. Von dem 
klassischen Staatsmerkmale, der Souveränität, ist ja viel dabei die Rede. Allein dergleichen muß 
immer unter Berücksichtigung der grundsätzlichen napoleonischen Verlogenheit verstanden werden: 
Souveränität einseitig nur gegen den deutschen Kaiser ist gemeint; Napoleon gegenüber ist das 
ganz anders. Die französische Auffassung des Verhältnisses ist niedergelegt in: Thiers, bistoire 
de la révolution t. II, appendice chap. II: „il eréa les deuxr royraumes feudataires 
de Saxe et de Westfalie contre la Prusse. Celui de Saxe, formé de I’électorat de ce nom et de la 
Pologne prussiemnne...fut donné au roi de Saxze'“. 
2) Wenn der Westfälische Friedensvertrag, Art. VIII, & 2 das freie Bündnisrecht, auch mit 
auswärtigen Mächten, anerkennt, woran sich folgerichtig auch die Anerkennung des Kriegsführungs- 
rechtes schließt, so ist das ein ausreichendes Zeugnis für die Machtstellung der Reichsstände. Selbst- 
verständlich kommt dieses Recht nur den mächtigen Reichsständen zugute; die schwächeren unter- 
liegen überdies auch der Reichsgerichtsbarkeit, die den Starken gegenüber versagt. Auch fehlt ihnen 
großenteils die innere Entfaltung eigner Staatsgewalt. Es gibt eben zahlreiche sta atlose Ge- 
biete damals in Deutschland; das Reich war längst kein Staat mehr und das Territorium ver- 
mochte häufig keinen Ersatz zu bieten. In Sachsen war das nicht so.
	        
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