g 29. Ministerium und Staatsrat. 255
nisterien. Abgesehen von vorübergehender Nichtbesetzung, kann das geschehen in Form
der Amterhäufung, indem ein Minister zugleich mit der Vorstandschaft eines anderen
Ministeriums betraut wird. So ist infolge der Gründung des Norddeutschen Bundes und
der damit eingetretenen Verminderung der Geschäfte des Ministeriums der auswärtigen
Angelegenheiten mit diesem verfahren worden: es wird von einem der anderen Minister,
zurzeit vom Minister des Innern, mit versehen. Die besonderen Zuständigkeiten dieses
Ministeriums bleiben dabei gewahrt, ebenso seine Ausrüstung mit einem besonderen
Beamten-Apparat. Nur die besondere Spitze fehlt.
3. Die vereinigten Minister bilden das Gesamt-Ministerium. Dieses soll nach
Verf.-Urk. § 41 Abs. 2 die „"berste kollegiale Staatsbehörde sein.5
Als Kollegium faßt es Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Das Beschlossene ist bindend
auch für die überstimmten und gilt auch als ihr Beschluß, so daß die sämtlichen Minister
für seine Durchführung die Verantwortlichkeit zu tragen haben. Wer das nicht will, muß
zurücktreten. !1) Den Vorsitz führt der vom König dafür bezeichnete.
Als oberste Staatsbehörde nach Verordnung vom 7. Nov. 1831 ist das Gesamt-
ministeriumüber die einzelnen Ministerien gestellt, um:
— „Differenzen“ zwischen ihnen zu erledigen;
— über Angelegenheiten zu beschließen, welche über den Bereich eines einzelnen
Ministeriums hinausgehen;
— Gesetzesvorschläge der Ministerien und Beschwerden gegen sie zu begutachten,
auch den Entwurf des Staatshaushaltsplanes auf Grund ihrer. Sonder-Etats endgültig
fertig zu stellen (vgl. oben § 24, I Nr. 1.)
16) Der Gedanke, die oberste Staatsbehörde als Kollegium zu gestalten, entsprach den Ge-
pflogenheiten des alten Staatswesens (vgl. oben § 27, I). Für die Sächsische Verf.-Urk. ist aber
hier ganz besonders wieder die Württembergische maßgebend geworden. In ihrem § 54 stellte diese
den Geheimen Rat, der wie ein Staatsrat zu seinen Mitgliedern vor allem sämtliche Minister zählte,
an die Spitze der ganzen Behördenordnung als dic „oberste, unmittelbar unter dem König stehende
Staatsbehörde"“. Die alten Württembergischen Stände hatten diese zurückgebliebene Einrichtung
dem König gegenüber durchgesetzt, dem „guten alten Recht“ zu Ehren (Goez, Württemb. Staats-
R. S. 159). Durch Ges. vom 1. Juli 1876 nahm man auch dort ein moderneres Ministerialsystem
an. Das Sächsische Gesamtministerium umfaßte von vornherein nur Minister und war mit einer
viel geringeren Zuständigkeit ausgestattet. Die inneren Notwendigkeiten des neuen Verfassungs-
lebens wirkten einer Entfaltung des Instituts entgegen. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht das
Schicksal des § 36 Abs. 2 der Verf.-Urk., der für das allgemeine Recht „der Beschwerde über Be-
hörden“ ganz offenbar voraussetzt, daß die Sache erst zur „Entscheidung der obersten Staatsbehörde“
gelangen könne, bevor man an die Stände gehen kann. Leuthold, Staats-R. S. 243, hebt
mit Recht hervor, daß danach eigentlich das Gesamtministerium als ordentliche Instanz hätte an-
gesehen werden müssen. Vgl. auch Bülau, Verf. u. Verw. 1 S. 224 Note 8. Milhauser,
Staats-R. 1 S. 213 u. 217 Note g, spricht gar von einer Verantwortlichkeit der Minister gegen
das Staatsministerium als oberster Staatsbehörde. Die Praxis hat es, wie Leuthold jelent be-
zeugt, trotzdem anders gehalten und sie hat im Geiste des Verfassungsstaates wohl daran getan.
Die Theorie hat sich bemüht, ihr zu Hilfe zu kommen im Wege der Auslegung: Fricker, Grundriß
S. 186, S. 250 Anm. "; Opitz, Staats-R. II S. 167 Note 4. Aber keinenfalls darf man be-
haupten wollen, daß Verf.-Urk. § 36 Abs. 2 unter „oberster Staatsbehörde“ vielleicht doch auch
das einzelne Ministerium verstehe. Er ist wörtlich entnommen aus der Württemb. Verf.-Urk. § 37
u. 38, wo ganz zweifellos nur der dem Sächsischen Gesamtministerium entsprechende Geheime
Rat gemeint ist.
17) Richtig Opitz, Staats-R. 1 S. 239. — Eine in der Staatsrechtslehre viel behandelte
rage! Vgl. Jellinek in Grünhuts Ztschft. X S. 320; Tezner, ebenda XXII S. 263 ff.;
orn, die staatsrechtliche Stellung des preuß. Gesamtministeriums 1892. — Mit der Gegen-
zeichnung hat das Kollegium als solches nichts zu tunz; das ist immer Sache des einzelnen Ministers.
Selbst wenn die Verf.-Urk. & 88 bei der Notverordnung, die der König erläßt, verlangt, daß die
Minister „insgesamt kontrasignieren“, gibt das nicht, wie Leuthold, Staats-R. S. 243, meint,
eine Handlung des Gesamtministeriums.