264 Fünfter Abschnitt: Die Staatsbehörden. 8 30.
III. Die höheren und unteren Staatsverwaltungsbehörden, Kreishauptmann-
schaften und Amtshauptmannschaften chließen oben an das Mini-
sterium, unten an die Gemeindebehörden an und bilden mit ihnen eine
Stufen folge übereinander gebauter Zuständigkeiten. Die notwendige Einheit
und Übereinstimmung wird gesichert durch den Grundsatz, daß der staatliche Wille jeweils
auf der oberen Stufe rechtlich stärker auftritt als auf der unteren, folglich den
letzteren überwindet. Darauf beruht die Zentralisation der Verwaltung.
Dieser Grundsatz kommt aber in mehrfacher Gestalt zum Ausdruck.
1. Jeder Behördenstufe ist ihr Kreis von Geschäften zugewiesen, die sie zu besorgen
hat und für die sie verantwortlich ist. Es kann aber für dieselben Angelegenheiten eine
Zuständigkeit der oberen und der unteren Stufe gleichzeitig gegeben sein. Dann
geht die von der oberen getroffene Anordnung der der unteren vor. Die erstere hat noch
den weiteren Vorzug, daß sie geeignet ist, Wirkungen hervorzubringen für ein ausge-
dehnteres Gebiet, die des Ministeriums z. B. für das ganze Land; das wird namentlich
bei Verordnungen von Wichtigkeit.
In diesem konkurrierenden Verhältnisse stehen Ministerium und Kreishauptmann-
schaft zueinander überall, wo die letztere als „unmittelbar delegiertes Organ der Staats-
regierung“ zur Tätigkeit berufen ist (oben 1 Nr. 1).
Ganz besonders aber entwickelt sich eine solche Konkurrenz auf dem Gebiete der Po-
lizei, wo die Amtsaufträge durch die verschiedenen Behördenstufen hindurch allgemein
lauten auf die gesamte Polizeiverwaltung.)
2. Die obere Stufe bildet zugleich für die untere die Dienstbehörde, die nächst-
obere ist die unmittelbare Dienstbehörde. In dieser Eigenschaft kann sie
dem dienstlich Untergebenen allgemeine Vorschriften (Dienstanweisungen, Instruktionen)
erteilen, kann aber auch im Einzelfall ihm anbefehlen, daß er eine Amtshandlung vor-
nehme oder die vorgenommene ändere oder zurückziehe (vgl. oben § 28, II Nr. 2). Darüber
hinaus ist die obere Behörde zugleich berufen, durch unmittelbares Eingreifen in den
Zuständigkeitsbereich ihrer Untergebenen Ordnung dort zu schaffen, wenn es nötig wird.
In diesem Sinne wird sie als Aufsichtsbehörde bezeichnet und ihr Eingreifen
als ein aufsichtsrechtliches. Insbesondere kann sie einen fehlerhaften Verwaltungsakt,
der dort vorgekommen ist, von Amts wegen oder auf Anrufen eines Beteiligten auf-
heben oder abändern.?") Darin kommt wieder der Grundsatz der rechtlich überwiegenden
26) Verord. vom 7. Nov. 1831 5 4 C (Minist. d. Inn.) Ziff. 8: „die gesamte Polizeiverwal-
tung“; Verord. vom 6. April 1838 87 (Kreisdirektion), e): „die gesamte Polizeiverwaltung“. Die
Ortspolizei ist geteilt zwischen dem Amtshauptmann und den im Amtsbezirk begriffenen Gemeinde-
obrigkeiten (Org.-Ges. § 6 Ziff. 2). Die ganze Ortspolizei, von besonders Vorkehaltenem abge-
sehen, hat aber auch keine sachliche Scheidung gegenüber der „gesamten Polizeiverwaltung"“;
sie ist einfach Polizei, die von der unteren Stufe gehandhabt wird. So Leuthold, Sächs. Verw.=
R. S. 14 u. 15.
27) Die ältere Praxis hatte nach zivilprozessualem Muster eine Nichtigkeitsbeschwerde
ausgebildet und daneben die sog. Aufsichtsbeschwerde. Erstere bedeutete ein wahres
Rechtsmittel mit einem Recht des Beschwerdeführers auf Prüfung und Bescheid. Letztere be-
deutete lediglich einen Weckruf für die Geltendmachung der „in der Aufsicht und Leitung der
höheren Behörde eingeschlossenen Vollmacht“ (vgl. Apelt, Verw.-Rechtspfl.-Ges. S. 48 ff.,
S. 228 Note 28. Fricker, Grundzüge S. 188, scheint diese beiden Dinge durcheinander zu werfen).
Das Verw.-Rechtspfl.-Ges. vom 19. Juli 1900 § 73 Abs. 2 hat die Richtigkeiebescheroe durch
seine Anfechtungsklage ersetzt, in dem Sinne, daß sie überhaupt nicht mehr, auch in den Fällen
nicht stattfindet, die durch die Anfechtungsklage nicht gedeckt sind. Die Deputation bemerkte da-
zu in ihrem Berichte ausdrücklich: „die sogenannte Aufsichtsbeschwerde bleibt bestehen“ (Landt.=