Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

272 Fünfter Abschnitt: Die Staatsbehörden. 8g 31. 
  
insofern ihnen nicht mehr zusteht, sich nochmals mit der gleichen Sache zu befassen (ab- 
solute Rechtskraft). Es bindet auch die Verwaltungsbehörden; diese aber sind an sich 
nicht geschützt vor nochmaliger Inanspruchnahme mit der gleichen Frage, die sich in irgend 
welchem Zusammenhange bei ihnen darbieten kann; wenn sie gebunden sind, so geschieht 
das nur aus Rücksicht auf die Parteien, die das Urteil erwirkt und ein Recht haben auf 
seinen Bestand. Ihnen gegenüber bedeutet also, wie Verw. R. Pfl. Ges. § 61 es ausdrückt, 
die Rechtskraft nur, „daß sie gegen den Willen der Parteien nichts verfügen können, was 
davon abweicht“ (relative Rechtskraft). 10 
II. Das Oberverwaltungsgericht zu Dresden ist eine Gesamtbehörde, 
bestehend aus einem Präsidenten und der erforderlichen Zahl von Senatspräsidenten 
und Räten, und ausschließlich zur Handhabung der Verwaltungsrechtspflege an oberster 
Stelle bestimmt. 15) Die Mitglieder sind umgeben von allen Garantien richterlicher Un- 
abhängigkeit. 160) Es bildet Senate, welche in der Besetzung von 5 Mitgliedern entscheiden. 
Seine Zuständigkeit ist eine zwiefache (§ 22):1 . 
1. Das Oberverwaltungsgericht entscheidet über Berufungen gegen die Ur— 
teile der Kreishauptmannschaft als Gericht zweiter Instanz (§ 62 ff.). Die Berufung ist 
von der Partei einzulegen binnen 4 Wochen von der Zustellung des angefochtenen Urteils 
ab. Sie führt zu einer unbeschränkten Nachprüfung der Sache nach allen Richtungen hin 
(volle Verwaltungsrechtspflege).18) 
14) Arch. f. öff. Recht Bd. 21 S. 1 ff. Das Sächsische Gesetz ist bisher das einzige, das sich 
an eine Lösung der vielbestrittenen Frage der Rechtskraft in Verwaltungssachen gewagt hat. Es 
steht auf dem Standpunkt, daß die Rechtskraft ein Erzeugnis des besonderer gesetzlicher Anweisung 
gemäß beobachteten Parteiverfahrens ist, welches insbesondere auch ein Recht der Partei an dem 
erwirkten Urteile begründet (Landt.-Akten 1899/1900 K. Dekrete 3, 1 S. 296 ff.). Daß der ergehende 
Ausspruch seinem Inhalte nach nur festzustellen hat, was schon Rechtens ist, „Rechtsprechung“ 
vorstellt, gibt ihm nicht von selbst die besondere Eigenschaft der Rechtskraft, sondern ist für den 
Gesetzgeber nur ein naheliegender Beweggrund, solche Akte vor allem in die Verwaltungsrechts- 
pflege zu verweisen (a. a. O. S. 276 ff.). Dadurch ist hier die soviel Verwirrung anrichtende Idee 
der eignen Rechtskraftfähigkeit jedes „Rechtsprechungsaktes“ in der Verwaltung („Entscheidung“ 
in diesem Sinne) ausgeschaltet und die Sache einfach und natürlich geordnet. 
15) Ein „reines Verwaltungsgericht". Das O. V. G. ist zur Zeit besetzt, wie folgt: 1 Präsi- 
dent, 1 Senatspräsident, 11 Oberverwaltungsgerichtsräte, 1 Juristischer Sekretär, 1 Obersekretär, 
2 Sekretäre, 2 Bureauassistenten. — Mit dieser Sonderstellung des O. V.G. hängt das Institut 
des „Vertreters des öffentlichen Interesses“ zusammen. Es kann nämlich für die einzelne Sache 
(nicht allgemein) zu seiner mündlichen Verhandlungen (nicht auch zu denen der Kreishauptmannschaft) 
das beteiligte Ministerium „einen Vertreter abordnen“ (Verw. R. Pfl. Ges. 3§ 12). Auf Verlangen 
des O. V. G. muß es das tun. Dieser Beamte ist bestimmt, der Ansicht der Regierung von dem, 
was im öffentlichen Interesse liegt, bei dem Gerichte Gehör zu verschaffen. Er ist nicht Partei und 
vertritt keine Partei (Landt.-Akten 1899/1900 K. Dekrete 3, 1 S. 272). Doch ist er mit verein- 
zelten prozessualen Befugnissen ausgestattet: Verw. R. Pfl. Ges. § 64 Abs. 2, 5+ 77 Abs. 3, + 81 
Abs. 1, § 85 Abs. 1. 
16) Verw. R. Pfl. Ges. 9 5ff. Obwohl die Verwaltungsrechtspflege „nichts außerhalb 
der Verwaltung Liegendes“ ist und ihren Gegenständen nach wesentlich dem Ministerium des Innern, 
wohl auch dem der Finanzen angehört, hat man das O. V. G., um seine Unabhängigkeit zu be- 
tonen, unter das Gesamtministerium unmittelbar gestellt (uvgl. oben § 29 Nr. 3) — soweit eine solche 
Unterstellung bei einem echten Gerichtshof überhaupt statt hat. 
17) Von den mehr nebensächlichen Zuständigkeiten für die der Zivilprozeßordnung ent- 
nommenen Rechtsmittel der Prozeßbeschwerde (5 70 ff.) und der Wiederaufnahme des Verfahrens 
(6+ 85 ff.) können wir hier absehen. 
18) Die Zurücknahme der Berufung bedarf nicht wie die der Klage der Genehmigung des 
Gerichts (Verw. R. Pfl. Ges. 3 35); wenn aber ein Vertreter des öffentlichen Interesses bestellt 
ist (ugl. oben Note 15), kann dieser verlangen, daß trotz der Zurücknahme noch über die Berufung 
entschieden wird (§ 64 Abs. 2). Das ist um so bedeutsamer, als die durch Berufung angefochtene 
Entscheidung „auch zum Nachteil dessen, der das Rechtsmittel eingewendet hat“, abgeändert 
werden kann. (§ 25 Abs. 1). Das hängt wieder zusammen mit der freieren Stellung der Verwal-
	        
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