274 Fünfter Abschnitt: Die Staatsbehörden. g 3l.
Durchbrechung des Grundsatzes (aus Zweckmäßigkeitsrücksichten geschehen) in der Ver-
sagung der Klage zur Anfechtung von Abschätzungen zur Steuerveranlagung, von polizei-
lichen Maßregeln gegen Viehseuchen, von Verweigerung gewerbepolizeilicher Erlaubnisse
und gewerbepolizeilicher Untersagung des Betriebs (Ziff. 2—4).2)
Damit könnten die Umrisse des Rechtsinstituts gezogen sein, wenn nicht die Rücksichten
auf das Reichsrecht noch erhebliche Besonderheiten veranlaßten:
— In zahlreichen Fällen hat es bestimmt, daß die Behörden zweiter Instanz end
gültig entscheiden sollen. Daraus zieht Verw.R. Pfl. Ges. § 75 Ziff. 1 die Folgerung,
daß auch die Anfechtungsklage ausgeschlossen ist.23)
— Gesellschaften und Vereinen gegenüber gibt es den Verwaltungs-
behörden vielfach Befugnisse der Genehmigungsversagung, des Einspruchs, der Auflösung,
mit dem Vorbehalt: die Maßregel „kann im Verwaltungsstreitverfahren
ange fochten werden“,:“) oder mit der Bestimmung: „das Verfahren und die Zu-
ständigkeit der Behörden richtet sich nach den für streitige Verwaltungs-
sachen landesgesetzlich geltenden Vorschriften".25) Für den ersten
Fall war die Anwendbarerklärung der Anfechtungsklage von selbst geboten (& 73 Ziff. 3 u. 4).
Das Gesetz hat aber auch in den Fällen der zweiten Art der Forderung des Reichsgesetzes
in der gleichen Form genügen wollen: die Kreishauptmannschaft beschließt unter Zu-
lässigkeit der Anfechtungsklage (5§ 74).36) Hier entsteht also überall die Besonderheit, daß
nicht erst in die zweite Verwaltungsinstanz gegangen werden muß; die Sache wird von
der ersten Instanz weg unmittelbar in die Verwaltungsrechtspflege gebracht.
Dazu kommt aber für diese ganze Gruppe noch eine wichtigere Abweichung von der ge-
wöhnlichen Art der Anfechtungsklage. Es ist nämlich offenbar im Sinne der Reichsgesetze,
daß das Verwaltungsstreitverfahren hier zu einer Nachprüfung der Sache in vollem Umfange
führe und nicht, wie es sonst das Eigentümliche bei der Anfechtungsklage ist, auf die Frage
der Gesetzwidrigkeit beschränkt sei. Deshalb wirkt hier die Anfechtungsklage wie eine Berufung
(Verw. R. Pfl. Ges. § 76 Abs. 3). Von der echten Berufung unterscheidet sie sich nur dadurch,
daß die angefochtene Entscheidung kein Urteil ist, sondern ein einfacher Verwaltungsakt.7)
22) Die Ausnahme in Ziff. 5 (Unanfechtbarkeit der Entscheidungen in Angelegenheiten des
Vereins= und Versammlungsrechts) ist beseitigt durch § 7 der Verord. vom 12. Mai 1908, die
Ausführung des Reichsvereinsgesetzes betr.
23) Die landesrechtlichen Endgültigkeitsbefehle dieser Art hat das Gesetz in 3 75 Ziff. 1 Abs. 2 be-
seitigt. Die reichsrechtlichen Bestimmungen, die in Betracht kommen, sind z. B. Quartierleistungs-
ges. & 6 Abs. 4, Invalid.-Vers.-Ges. & 155, Gew.-Ord. § 63 Abs. 2. Aufzählung bei Apelt,
Komment. S. 235.
24) Krank.-Bers.-Ges. vom 10. April 1892 §l 24 Abs. 1, § 4 Abs. 3, u. & 48 a Abs. 1 (dazu für
besondere Kassen 8 64, 8 72 u. §85); B.G.B. F 62.
S Gänosf-Ges vom 1. Mai 1889 5# 79, Gesellsch. m. b. H.-Ges. vom 20. April 1892 F 62,
.G. B. 8 H.
26) Die Auflösungsbeschlüsse, welche nach Säscch s. Ges. vom 15. Juni 1800 8 32 gegen Akt.=
Gesellsch. und Kom. Akt.-Gesellsch. ergehen können, sind durch § 74 in das gleiche Verfahren ge-
bracht worden: die Zwischendeputation hatte das angeregt (Landt.-Akten 1899/1900 Ber. d. II. Kam.
1. S. 12). — Daß dem Willen des Reichsgesetzes auch in dieser Form genügt ist, kann nicht zweifel-
haft sein. Die Ausdrucksweise geht allerdings von der dem preußischen Rechte geläufigeren Vor-
stellung aus einer unteren Verwaltungsbehörde, die bei dem Verwaltungsgerichte klagt gegen
den aufzulösenden Verein. Die Begründung zum Berw. R. Pfl. Ges. (Landt.-Akten 1899/1900
K. Dekrete 3, 1 S. 288) sagt aber davon mit Recht: „Es empfiehlt sich nicht, auf diese Weise das
natürliche Verhältnis zu verschieben.“
27) Die zweierlei Wirkungen der Anfechtungsklage sind scharf hervorgehoben in der Be-
grundung, Landt.-Akten a. a. O. S. 301, 302. "