294 Sechster Abschnitt: Die Selbstverwaltung. g 33.
Bezüglich der Ortspolizei ist äußerstenfalls noch eine besonders einschneidende Maß-
regel vorbehalten. Das Ministerium des Innern kann der städtischen Behörde die Ver-
waltung entziehen und sie einer anderen Behörde übertragen.
Bei Städten Rev. St.-Ord. darf das nur geschehen „aus Gründen des öffentlichen Wohles
oder der öffentlichen Sicherheit, ingleichen wegen ungenügender Geschäftsführung“.
Letzterenfalls auf Kosten der Gemeinde, und stets nur „vorübergehend“.?5) Bei Städten
mit St.-Ord. f. mittl. u. kl. St. fallen diese sachlichen Beschränkungen weg; auch geht die
Maßregel immer auf Kosten der Stadt. Dafür bedarf der Beschluß des Ministeriums
vorgängiger Anhörung des Bezirksausschusses. In der gleichen Weise kann gegen Land-
gemeinden der Kreishauptmann vorgehen. 5)
§ 33. Selbständige Gutsbezirke und Gemeindeverbände. Was außer den Ge-
meinden noch als Träger von Selbstverwaltungsrechten erscheint, ist zweierlei Art: wir
finden einerseits die selbständigen Gutsbezirke, anderseits die Gemeindeverbände.
I. Selbständige Gutsbezirke sind Teile des Staatsgebietes, welche keiner
Ortsgemeinde zugehören.1) Als solche werden in L.G.-Ord. § 82 anerkannt:
a) die königlichen Schlösser und deren Zubehörungen;
b) die bisher zu keinem Gemeindeverbande gehörigen Staats= und Privatwaldungen.
c) Kammer= und Rittergüter;
d) diejenigen Güter, welche, ohne wirkliche Rittergutseigenschaft zu besitzen, seither
in gleichem Verhältnisse zur Gemeinde gestanden haben.
Der Schwerpunkt liegt bei den unter c) und d) angeführten Fällen. Von ihnen aus
bekommt die ganze Einrichtung ihre eigentümliche Bedeutung für das sächsische Staatsrecht.
Wenn die neue Gesetzgebung geneigt ist, das ganze Staatsgebiet unter Gemeindegebiete
zu verteilen, so werden doch, der Zweckmäßigkeit zuliebe, gewisse Ausnahmen auch ander-
wärts gern anerkannt. Hohe Gebirgsstöcke, Seen, größere Waldungen eignen sich nicht
wohl zu Gemeindegebieten; daß man landesherrlichen Schlössern nebst Schloßgärten
eine Sonderstellung anweist, liegt auch nahe, ergibt sich sogar teilweise von selbst. Soweit
dann der Mangel des gewöhnlichen Selbstverwaltungskörpers eine Lücke empfinden
läßt, hätte der Staat unmittelbar einzutreten. So haben sich die Dinge im Süden und
Westen Deutschlands gestaltet..) Im Norden und Osten aber hat das dort so bedeutsame
Rittergut eine ganz andere Art von Sonderstellung der Gemeinde gegenüber zur
wertet die Reste für sich; trotz Gegenvorstellung der Innung beharrt sie darauf, ihr „Eingriffs-
recht“ in diesemUUmfang geltend zu machen. Der Rekurs der Innung wird von der Kreishaupt-
mannschaft abgewiesen. Auf ihre Anfechtungsklage verordnet das O. V. G. die Beiladung der Stadt,
die dadurch Partei wird. Denn es ist eine eigentliche Gemeindesache in Frage, obwohl die Ver-
tretung der, Gemeinde als Behörde vorging.
Die vom O. V. G. 23. Nov. 1902 (Jahrb. II S. 105 ff.) hervorgehobene Unterscheidung, ob
die Aufsichtsbehörde „im Rechtsmittelwege oder in freier Entschließung eingeschritten ist“, gilt
für Oberaufsichtssachen ebensowohl wic für den übertragenen Wirkungskreis. Sie ist wichtig für
die Frage der Zählung der Instanzen und folglich der Zulässigkeit der Anfechtungsklage (Verw.
R. Pfl. Ges. § 73 Ziff. I; Apelt, Kommentar S. 57).
75) Rev. St.-Ord. § 101 Abf. 4.
76) St.-Ord. f. mittl. u. kl. St. & 12 Abs. 3: L. G.-Ord. § 74 Abs. 2.
1) Sie sind „exemt" Hofmann, Die Rittergüter des Kgr. Sachsen S. 73, gibt dem da-
uen seandeinden Kapitel die Überschrift?,„ Exemtität“, was mir kein empfehlenswerter Ausdruck zu
ein scheint.
2) So im rechtsrheinischen Bayern die „abgesonderten Markungen“ (Seydel, St.-R. II
S. 45). In der Pfalz gibt es Ausnahmen vom Gemeindeverband überhaupt nicht.