Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band IX. Das Staatsrecht des Königreichs Sachsen. (9)

8 6. Das Staatsgebiet. 21 
  
Familie angesehen. Wesentliche Anderungen daran erforderten, um rechtsgültig zu sein, 
auch die Zustimmung der maßgebenden Familienglieder, der Agnaten.10) Ausdrück— 
lich abgeschafft wurde in dieser Hinsicht nichts. Die Verfassung gibt aber solchen Dingen 
gegenüber einen Standpunkt von unzweifelhafter Sicherheit. Die staatliche Ordnung 
steht danach auf sich allein. Die landesherrliche Familie kommt staatsrechtlich gerade so weit 
in Betracht, als Verfassung und Gesetz auf sie Bezug nehmen. Es genügt also zur Erle- 
digung der aufgeworfenen Frage, daß bei den Bestimmungen über Veräußerung von 
Staatsgebiet der Agnaten nicht gedacht worden ist. Der König mag sie zuziehen und be- 
fragen, selbstverständlich, wie ihm gutdünkt; rechtlich behält er ihnen gegenüber die Hände 
frei.11) — 
Dagegen ist für unseren Gegenstand von größter Wichtigkeit das Verhältnis Sachsens 
zum Reich. Und zwar könnte dieses in doppelter Weise in Frage kommen. 
Einmal wäre zu sehen, inwiefern die soeben besprochenen Verfügungen Sachsens über 
sein Gebiet der Zustimmungdes Reichs bedürfen. Tatsächlich ist ja das sächsische 
Staatsgebiet zugleich Reichsgebiet (Reichs-Verf. Art. 1). 
Da wäre denn vorweg auszuscheiden der Fall der Erbteilung. Weäere eine solche 
verfassungsmäßig Rechtens, so würde das Reich sie sich gefallen lassen müssen; denn es hat 
die Bundesgenossen angenommen, so wie sie sind, mit ihrer Verfassung. Es hätte seiner- 
seits die Folgerungen daraus zu ziehen durch Anpassung seiner eigenen Verfassung, nament- 
lich was die Zuteilung der Stimmen im Bundesrat anlangt. 
Bezüglich der eigentlichen Veräußerung, die allein in Betracht kommt, macht es für 
das Reich einen großen Unterschied, ob sie geschieht an einen fremden Staat oder 
an einen Bundesgenossen. 
Abtretung an einen fremden Staat ist ohne Zustimmung des Reichs nicht zu- 
lässig. Es wäre eine Verletzung verfassungsmäßiger Bundespflichten; denn durch den 
Eintritt in den Bund hat sich Sachsen verpflichtet, mit seiner ganzen Gebietskraft der ge- 
meinsamen Sache zur Verfügung zu stehen. Es wäre auch völkerrechtlich dem Dritten 
gegenüber nicht bindend für Sachsen, insofern jener hat wissen müssen, daß Sachsen 
nicht so verfügen kann. Das Bundesgebiet ist in Art. 1 der Reichsverfassung festgelegt 
nach dem damaligen Gebietsbestand der verbündeten Staaten. Die Zustimmung des 
Reiches könnte deshalb nur erklärt werden auf Grund eines verfassungändernden Reichs- 
gesetzes.12) 
Bloße Grenzberichtigungen sind anders zu behandeln. Sie gelten überhaupt nicht als 
Veränderungen des Gebietswertes. Sie setzen also auch keine Anderung der Reichs- 
verfassung voraus; denn diese bezieht sich einfach auf den Gebietsstand der Bundesstaaten. 
Wenn der Bundesstaat, der unmittelbare Gebietsherr nach der bei ihm geltenden 
10) v. Römer, Staats-R. u. Statistik II S. 690. 
11) In diesem Sinne auch Opitz, St. R. I S. 69. Man darf aber wohl die Zurückweisung 
dieser dunklen Agnatenrechte noch etwas entschiedener aussprechen, als er es tut. Das ist heut- 
zutage wieder nötig geworden. 
12) Reichs-Verf. Art. 78. Laband, Staats-R. des Deutschen Reichs 1 S. 180. — Im Gegen- 
satze zu Haenel, Deutsch. Staats-R. 1 S. 558 Note 24, sehen wir aber hier nicht zwei parallel 
laufende Veräußerungsakte des Staates und des Reichs. Der Veräußerer ist immer nur der Staat; 
durch die Reichszugehörigkeit ist nur seine völkerrechtliche Handlungsfähigkeit beschränkt, daher 
die notwendige Ergänzung durch Zustimmung, Genehmigung und Gültigerklärung von seiten 
des Reichs.
	        
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