89. Die Thronfolgeordnung. 53
Das Königlich Sächsische Haus umfaßt jeweils einen mehr oder weniger großen Kreis
von Angehörigen, aus welchen die Thronfolgeordnung durch den Wortlaut der Verf.-Urk.
nunmehr den neuen König genauer bestimmt in folgender Weise:
1. Die Krone ist erblich „ im dem Mannesstamme dieses Hauses. Das salische
Gesetz in seiner ganzen Strenge kommt hier zum Vorschein. Die vom Ahnherrn des Hauses
abstammenden Frauen können ihrerseits noch zum Hause gehören; dann sind sie gleichwohl
unfähig zur ordentlichen Thronfolge. Abgelehnt ist zugleich ihre ganze Linie, ihre Nach-
kommenschaft, auch männlichen Geschlechts. Dieses letztere würde sich auch aus anderen
Bestimmungen ergeben. Durch die ebenbürtige Verehelichung tritt nämlich die Prinzessin
gemäß Hausgesetz § 1, d aus dem königlichen Hause aus, kann also eine Zugehörigkeit zu
diesem nicht mehr vermitteln. Abstammung aus nicht ebenbürtiger Verehelichung be-
gründet aber überhaupt keine Thronfolgeberechtigung, nicht einmal für die außerordent-
liche Thronfolge (Verf.-Urk. &J 7). So ergibt sich der eigentümliche Grundzug der Gestal-
tung des fürstlichen Hauses, der, im Gegensatz zur bürgerlichen Familie, auf der fortwäh-
renden Abstoßung derjenigen Blutsverwandten beruht, deren Verwandtschaft durch weib-
liche Mitglieder des Hauses vermittelt wird. Den Kern der Nachkommenschaft des Herzogs
Albrecht als Albertinisches Haus bildet eine zusammenhängende Kette von Männern,
die von ihm abstammen. Das ist der Mannesstamm des königlichen Hauses. Die einzelnen
Glieder dieser Kette heißen Agnaten des königlichen Hauses. Der dem römischen
Rechte entlehnte Name weist darauf hin, daß nicht die Blutsverwandtschaft allein hier das
Bestimmende ist, sondern die Zugehörigkeit zu einer darauf beruhenden rechtlich geordneten
Gemeinschaft. In dieser sind die Frauen vorübergehende Erscheinungen, kommen als
Gattinnen von außen herzu und sind als Töchter bestimmt, durch ihre Verehelichung wieder
auszutreten. Solche Töchter samt ihrer Nachkommenschaft heißen Kognaten des
Hauses.15)
2. „Nach dem Rechte der Erstgeburt“. Der mühsam erkämpfte, für den
werdenden Staat so unentbehrliche Grundsatz kommt hier zum Ausdruck, der Grundsatz
der Individualsukzession. Unter mehreren Söhnen des verstorbenen Königs wird nicht
mehr geteilt, sondern der Alteste ist allein zur Thronfolge berufen mit Ausschluß der übrigen.
Das gleiche wiederholt sich auf jeder Stufe der Verwandtschaft, wo immer mehrere Glieder
des Hauses sich finden, die als Söhne des gleichen Vaters gleiches agnatisches Recht zu be-
anspruchen hätten. Hier entscheidet überall die Erstgeburt. Der Ausdruck ist nicht ganz
zutreffend. Der Erstgeborene hat den Vorrang vor den anderen Söhnen; aber wenn er
wegfällt, hat ihn der Zweitgeborene vor dem Dritten ganz ebenso, und so durchweg. Es
ist das Recht des Frühergeborenen, das gemeint ist.
3. „Und der agnatischen Linealfolge“. Das Wort agnatisch enthält
lediglich eine nochmalige Betonung des Vorzugs des Mannesstammes, dem allein die
ordentliche Thronfolge zusteht. Das Neue ist, daß jetzt auch die Linie dabei maßgebend
resp. der gleichfalls vertragsmäßig veranlaßten Samtbelehnung; der Naumburger Vertrag hat
daran festgehalten“.
13) Rehm, Modernes Fürstenrecht S. 352, wendet sich mit Recht gegen den Ausdruck
„Agnatin“, der neuerdings gebraucht worden ist. Hier wird mit dem Namen zu viel aus dem
römischen Rechte herüber genommen. Der deutsche Agnat ist nicht bloß passiv durch die Haus-
gewalt verbunden, sondern Mitträger; ein genossenschaftlicher Gedanke ist hier von vornherein
dabei, der dem römischen Rechte fehlt (Gierke, Genossenschaftsrecht I S. 413).