Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

90 Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. 
4. Alles bisher Betrachtete bedeutete gesetztes Recht; dem 
steht nun gegenüber das Gewohnheitsrecht, als das ungesetzte, 
das seine Entstehung auf die tatsächliche Übung, die Gewohnheit, 
zurückführt. 
Man hat damit selır viel juristische Mystik getrieben. Für 
uns gibt es kein Recht ohne die öffentliche Gewalt. Sie braucht 
es freilich nicht förmlich zu setzen und als verbindliche Regel ihren 
Untergebenen aufzuerlegen. Sonst gäbe es kein Völkerrecht für 
die Staaten und kein Verfassungsrecht für die Könige; hier 
begnügen wir uns für den Namen Recht damit, daß tatsächlich 
gewisse Regeln von der Öffentlichen Gewalt be- 
obachtet und wahrgenommen sind und eine gewisse 
Gewähr besteht, daß sie dabei verharre, Gewähr, die tat- 
sächlich kräftig genug wirkt, um die Sache zuverlässig zu machen: 
eigener Vorteil, sittliches Pflichtgefühl, Gottes- oder Menschen- 
furcht, es braucht weiter gar nichts juristisches dabei zu sein !®., 
In gleicher Weise kann auch Recht entstehen für das Gebiet der 
Justiz. Sie ist durch ihr Amt dazu gedrängt, nach allgemeinen 
Regeln zu verfahren. Daher ihr „Hunger nach Rechtssätzen“; 
gibt ihr der Staat keine, so nimmt sie dafür, was bisher ein- 
gehalten worden ist zwischen den Leuten, von den Behörden, und 
macht es dadurch zu Recht!®. Der Staat, der die Rolle des 
Dienstherrn der Justiz übernimmt, läßt sie gewähren, weist sie 
vielleicht ausdrücklich noch dazu an. Er kann aber auch, wenn 
er der Meinung ist, ausreichend gesetztes Recht zu liefern, das 
Gewohnheitsrecht ganz verbieten; dann gibt. es keins mehr. Unsere 
Verwaltung findet sich jetzt einem Staate gegenüber, dem das für 
das Gebiet der Justiz eine offene Frage ist!*. Wenn die Juristen 
des Verbandes (Gierke, Deutsch. Priv.R. 1 S. 152ff.;, Rosin, R. d. öff. Ge- 
nossensch. S. 187 ff.; derselbe, Arb.Vers. I 8. 101ff.;, Stier-Somlo, Ein- 
wirkung S. 148; Fleiner, Instit. S. 73); dann wird aber doch die Ausnahme 
vermerkt, daß es Fälle gibt, wo die Satzung „von vorneherein auch Nicht- 
mitglieder verbindet“ (Gierke, Deutsch. Priv.R. I S. 158 Note 47; Rosin, 
Arb.Vers. I S. 102; Fleiner, Instit. S. 73). Es sollte einleuchten, daß die 
Satzung im zweiten Fall etwas ganz anderes ist als im ersten. 
18 A. Merkel, Enzykl. $ 870 Note; Stammler, Theorie d. R.wiss. S. 114 ff.; 
derselbe, Wirtsch. und R. S. 124, 488, 492, 493. 
13 Bülow, Briefe eines Unbekannten 8. 95, 103 f.;, Rümelin in Jahrb. 
f. Dogmat. XXVII S. 204 ff.; B. Schmidt, das Gewohnheitsrecht als Form des 
Gemeinwillens S. 39. Der Volksgeist, der Gemeinwille, die stillschweigende 
Approbation des Staates und all die schönen Dinge, die man sonst noch hinter 
die rechtschaffenden Behörden stellt, sind überflüssige Zutat. 
1% Eintw. I des B.G.B., Mat. Bd. I S. 4fi.
	        
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