Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 9. Der Verwaltungsakt. 099 
gebundene Tat ist aber nicht wie beim gerichtlichen Urteil die 
verhältnismäßig einförmige Zwangsvollstreckung, sondern entfaltet 
sich in den viel reicheren Gestalten der lebendigen Verwaltung: 
Geben und Nehmen, Dulden und Zwingen, Belasten und Freilassen, 
Verdrängen und Weichen. Und die Einhaltung von dem allen ist 
wie beim Rechtssatz nicht bloß eine Sache der inneren Ordnung 
der Staatstätigkeit: die Gebundenheit besteht dem Untertan 
gegenüber, auf welchen der obrigkeitliche Akt gewirkt hat. 
Nichteinhaltung dieser rechtlichen Bestimmtheiten zu seinem Nach- 
teil verletzt ihn „in seinen Rechten“ ?. 
II. Auch der Verwaltungsakt steht unter dem Gesetz 
wie das Gerichtsurteil. Aber das Verhältnis ist nicht von der 
° 0.V.G. 27. Nov. 1895 (Entsch. XXIX S. 371): Der Regierungspräsident 
bat den Landrat angewiesen, den vom Bezirksausschuß gewährten baupolizei- 
lichen Dispens „als nicht vorhanden“ anzusehen und demgemäß vorzugehn. Das 
ist rechtswidrig; denn der Beschluß ist „keineswegs ein nichtiger Akt, wie etwa 
der einer völlig unzuständigen Behörde. Derselbe hat die rechtliche Wirkung, 
daß er, solange seine Aufhebung nicht erfolgt ist, dem Kläger den Bestand des 
gestatteten Fensters in baupolizeilicher Beziehung sicherte.“ Vgl.auch Droop, 
Rechtsweg in Pr. S. 69 Anm. 5. 
In Preußen spiegelt sich die Entwicklung vor allem ab an dem Begriff 
der „polizeilichen Verfügung“. Der Polizeistaat, der den Verwaltungs- 
akt nicht kannte, begreift darunter alles obrigkeitliche Vorgeben. So nament- 
lich auch Ges. v. il. Mai 1842 8 6, der die Zuständigkeit der Gerichte gegen 
polizeiliche Verfügungen ausschließt. R.G. 15. Mai 1902 (Entsch. LI S. 327): 
Der Amtmann befahl dem Eigentümer, seine Hecke vorschriftsmäßig zu 
stutzen, ließ dann zur Zwangsvollstreckung die ganze Hecke beseitigen, ein- 
schließlich zehnjähriger Eichbäume, die vorschriftsmäßig hätten stehen bleiben 
dürfen. Die gerichtliche Klage ist unzulässig trotz „abweichender Ausführung“, 
weil gegen eine polizeiliche Verfügung gerichtet, als welche auch diese Aus- 
führung selbst noch einmal erscheint. Dagegen wird nach der Rechtsprechung 
des O.V.G. die Idee des Verwaltungsaktes lebendig in der „polizeilichen Ver- 
fügung“, gegen welche die Klage nach L.V.G. 8 127, $ 128 erhoben wird. Regel- 
mäßig geht sie als besondere Anordnung, gehörig erlassen und kundgemacht, 
dem Zwange voraus. Ausnahmsweise kann „unmittelbarer Zwang“ angewendet 
werden, also ohne vorausgehende Anordnung; dann steckt darin stillschweigend 
die Verfügung, gegen die man klagen darf. v. Arnstedt, Pr. Pol.R. I S. 67; 
0.V.G. 9. März 1892 (Entsch. XXV S. 409). Der anzufechtende Verwaltungsakt 
wird also nötigenfalls „erdichtet*. War er, wie es die Regel ist, dem Zwange 
greifbar vorausgegangen, so kann gegen diesen die Klage nicht erhoben werden, 
fährt das O.V.G. a. a. O. fort, sondern nur Beschwerde nach L.V.G. $ 133 
Als. 2, „und zwar selbst dann, wenn die Zwangsausführung dadurch zu einer 
unberechtigten geworden sein sollte, daß in die Willensfreiheit des Ge- 
zwungenen weitereingegriffen wurde, alsdie durchzusetzende An- 
ordnung dieses erforderte“. Das ist die bindende Kraft des Verwaltungs- 
aktes in voller Klarheit. Ähnlich O.V.G. 28. April 1888 (Pr. Verw.Bl. X S. 108). 
7*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.