Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

162 Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. 
Dagegen besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen ihm 
und der „Beschwerde“ zum Verwaltungsgerichtshof nach Öster- 
reichischem Recht (Ges. vom 22. Okt. 1875, betreffend die Er- 
richtung eines Verwaltungsgerichtshofes). 
Hier ist die Voraussetzung, daß „jemand durch eine gesetz- 
widrige Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde 
in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet“ ($ 2 Abs. 1). Was 
nachgeprüft werden soll, ist lediglich die Rechtsfrage. Für Art 
und Maß dieser Nachprüfung ist aber nicht der französische 
Rekurs wegen Machtüberschreitung zum Vorbild geworden, der 
ein verwaltungsrechtlich umgeprägtes Kassationsverfahren bedeutet, 
sondern unmittelbar das französisch rechtliche Kassationsverfahren 
selbst. Die „Gesetzwidrigkeit“ der Entscheidung oder Verfügung 
besteht in unrichtiger Anwendung des Gesetzes oder Verletzung 
gesetzlich vorgeschriebener Formen des Verfahrens. Das wird von 
der entgegengesetzten Seite her noch einmal bekräftigt durch den 
Ausschluß der Nachprüfung „insoweit die Verwaltungsbehörden 
nach freiem Ermessen vorzugehen berechtigt sind“ ($ 3 e). 
Der engere Anschluß an die Kassation gibt zweifellos eine verhält- 
nismäßig feste Abgrenzung des Wirkungskreises des Rechtsmittels !*, 
Württ. Arch. f. R. u. Rechtsanw. XIV S. 190) — droit lese! — Wie im Gegen- 
satze dazu der Bayrische Staatsrat den von der Pfalz mitgebrachten recours 
pour exce&s de pouvoir verkümmern ließ, vgl. Seydel, Bayr. St.R. I S. 503, 
Note 59. 
1# Den besten Kommentar zu diesem Rechtsinstitut bilden die Reden, 
mit welchen der Minister Unger das Gesetz vor dem Parlament vertrat, vor 
allem die in der Sitzung des Abg. Hauses v. 18. März 1875 (Prot. Sess. VIII 
Bd. IV S. 4681 ff). Der Minister verwahrt sich gegen jedes Hereinmengen der 
Tatfrage in die Aufgabe des neuen Verwaltungsgerichtshofes, das sei unter 
den gegebenen Verhältnissen nicht durchführbar, und kommt zu dem Schluß: 
„Was bleibt uns übrig? Nichts als die Kassation, die Lösung der Rechtsfrage 
in abstracto. Und hierfür haben wir ein leuchtendes Vorbild in Frankreich 
auf dem Gebiete des Zivilprozesses. Das ist der berühmte Kassationshof“ 
(S. 4685). — Im Laufe der Verhandlungen hatte man ja den Versuch gemacht, 
dem $ 6 des Gesetzes eine Fassung zu geben, welche zu einer Nachprüfung 
des Tatbestandes geführt haben würde; das ist jedoch verhütet worden. Wenn 
jetzt nach $ 6 Abs. 2 eine Aufhebung erfolgen darf, „weil der Tatbestand 
aktenwidrig angenommen wurde oder in wesentlichen Punkten einer Ergänzung 
bedarf oder wesentliche Formen des Administrativverfabrens außer acht ge- 
lassen worden sind“, so ist damit keineswegs, wie schon behauptet wurde 
(Tezner, freies Ermessen S. 56), auch eine revisio in facto gegeben. Akten- 
widrigkeit der angefochtenen Entscheidung ist ein Formfehler, und Aufhebung, 
weil der festgestellte Tatbestand nicht ausreicht, die geschehene Rechts-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.