168 Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
Man unterscheidet am gerichtlichen Urteil eine formelle
und eine materielle Rechtskraft.
Die erstere richtet sich gegen die Partei: sie bedeutet ihr
gegenüber die Unangreifbarkeit des Urteils mit ordentlichen
Rechtsmitteln und die Vollstreckbarkeit.
Die materielle Rechtskraft setzt die formelle voraus und hat
ihren Namen daher, daß das in den Streit gezogene materielle
Rechtsverhältnis der Parteien nunmehr endgültig im
Sinne des Urteils festgelegt gilt auch über diesen Prozeß
hinaus®. Das bedeutet eine Gebundenheit der Gerichte
an das Urteil, welche wieder auf zweierlei Weise erklärt werden kann:
— entweder als ein gesetzliches Verbot an die Justiz,
daß sie um ihres eigenen Ansehens willen — ne varie judicetur —
sich nicht noch einmal mit dem Urteil befasse, um es abzuändern
(absolute Rechtskraft);
— oder als die Wirkung eines Rechtes der Partei an
dem zu ihren Gunsten ergangenen Urteil (relative Rechtskraft).
Der Unterschied wird sich darin offenbaren, daß bei der
relativen Rechtskraft ein Verzicht der obsiegenden Partei
auf die erworbene Rechtskraft möglich ist, bei der absoluten
nicht®,. —
I. Soll dieses Gebilde mit der Einrichtung der Verwaltungs-
rechtspflege auf das Gebiet der Verwaltung sich übertragen,
so muß gerade in den neuen Zusammenhängen, in die es da gerät,
das, was ihm eigen ist, sich deutlich hervorheben. Die formelle
Rechtskraft des Verwaltungsurteils findet hier ganz ähnliche Er-
scheinungen vor an dem einfachen Verwaltungsakt: auch
er erlangt durch Ablauf der Frist für die etwa vorgesehenen
Rechtsschutzmittel eine Art Unangreifbarkeit, nur daß eben hier
die Möglichkeit einer Zurücknahme oder Aufhebung von Amts-
wegen offen bleibt; die sofortige Vollstreckbarkeit aber ist ihm an-
geboren. Von der materiellen Rechtskraft, auf die es demnach allein
ankommt. tritt uns wenigstens der Kern dessen, wovon sie den
achten z. 26. D. Jur. Tag I S. 79, S. 92; W. Müller, Rechtskraft in Verw.
Streitverf. S. 8. Wenn Spiegel, Verw. R. Wiss. S. 114 ff., S. 129, meint, für
die Lehre vom rechtskräftigen Erkenntnis sei es richtiger, „den Zivilprozeß
aus dem Verwaltungsrecht zu erklären als umgekehrt“, so ist das doch wohl
etwas zu viel verlangt.
® Hellwig, Rechtskraft S. 18ff.; Pagenstecher, Rechtskraft S. 72 fi.
® Der erste Entw. d. B.G.B. hatte ausschließlich relative Rechtskraft an-
nehmen wollen; $& 191 Abs. 2 bestimmte: „Auf diese Wirkung des rechts-
kräftigen Urteils kann verzichtet werden.“