Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 16. Die Rechtskraft in VerWäAltungssachen. 169 
Namen hat, bei eben diesem Verwaltungsakte auch schon entgegen: 
auch er legt ja mit seiner bindenden Kraft das Rechts- 
verhältnis des Einzelnen fest, über den er ergeht. Wenn 
die Rechtskraft zugleich eine Gebundenheit der Behörden bedeutet, 
vermöge deren sie von dem ergangenen Urteil nicht mehr ab- 
weichen können, so knüpfen sich auch an den ergangenen ein- 
fachen Verwaltungsakt allerlei solche Gebundenheiten: das Gesetz 
verbietet seine Zurücknahme oder ein subjektives Recht, das er 
begründet hat, Forderungsrecht an den Staat, Recht am verliehenen 
Eisenbahnunternehmen, hält ihn durch seine Schwere fest. Das 
ist alles keine Rechtskraft. Von Rechtskraft als einer das Urteil 
auszeichnenden Eigenschaft dürfen wir erst sprechen, wenn die 
behördliche Gebundenheit, ohne Rücksicht auf solche an den 
Inhalt des Aktes sich knüpfende Besonderheiten, wie bei der 
Justiz diesem zukommt allein um des Verfahrens willen, 
aus dem er hervorging. Das ist der Prozeß, das Partei- 
verfahren. So streift sich in der Verwaltungsrechtspflege alles 
ab, was sonst noch an den Begriff der Rechtskraft sich hängen 
möchte: sie ist nur das Erzeugnis des Parteiverfahrens 
und ist überall vom Gesetze gewollt, wo es ein solches 
anordnet ®. 
  
4 Bernatzik, Rechtskraft, bestimmt mit Hilfe des angenommenen großen 
Rechtssatzes: Tue, was du glaubst, daß das öffentliche Interesse es erfordert, 
jeden einfachen Verwaltungsakt schlechthin zur „Rechtsprechung“ und „rechts- 
kräftigen Entscheidung“ (vgl. oben $5 Note 19, $ 9 Note 14), Daß zur Rechts- 
kraft eine besondere Gebundenheit des Aktes gehört, konnte ihm nicht ent- 
gehen. Auf ein Gesetz ist sie in dieser Allgemeinheit natürlich nicht zurück- 
zuführen, insbesondere auch nicht auf ein gesetzlich angeordnetes Verfahren, 
das bei Bernatzik hier überhaupt nur eine nebensächlich verbundene „Vor- 
stellung“ ist (a. a. O. S. 63 u. 64). So greift er denn vertrauensvoll zur Natur 
der Sache, die diese Unabänderlichkeit bewirken soll: es handelt sich um einen 
„logischen Schluß“, und die Logik ist blos eine (Gut. z. 26. D. Jur. Tag II S. 38). 
Seine Anhänger haben den Gedanken noch weiter unterstützt durch den Hinweis 
„auf das physikalische Gesetz der Undurchdringlichkeit der Körper im Raume“ 
(Seidler, in Verhandl. des 26. D. Jur. Tags III S. 386) oder auf die Tatsache, 
daß „die Eigenschaft des Wahren eine dauerhafte ist“ (Spiegel, Verw.R. Wiss. 
S. 106). Aber gerade weil diese Sätze bei der menschlichen Schwachheit 
nicht zutreffen, mußte das Gesetz kommen und in den Fällen, die es für ge- 
eignet hielt, Verwaltungsrechtspflege anordnen und damit die unabänderliche 
Rechtskraft. 
In Deutschland hat diese eigenartige Lehre nicht viel Verständnis ge- 
funden. Seuffert, Kom. z. Z.P.O. 8 322, führt unter den literarischen Hilfs- 
mitteln zur Lehre von der materiellen Rechtskraft ohne weiteres Bernatziks 
so betiteltes Werk auf; von dem, was Seuffert ganz richtiger Weise für
	        
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