Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

214 Die Polizeigewalt. 
nd 
Die Tatsache, daß Zwang auch über diese Grenzen hinaus 
geübt wurde, ließ sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. 
So begnügte man sich denn mit der Unterscheidung: Die Polizei 
hat es eigentlich nur mit der Sicherheit zu tun durch Abwehr 
dessen, was sie stört; hier ist der Zwang immer zu Hause. Zur 
Beförderung der Wohlfahrt kann sie wohl auch mit ihrem 
Zwange arbeiten, tut es nur nicht so leicht. Also ein Grad- 
unterschied®. 
Je mehr man aber für das Wesen der Polizei Gewicht legte 
auf die dazu gehörige Zwangsgewalt, desto leichter konnte man 
dazu kommen, dieser zweiten Art den Namen Polizei überhaupt 
zu versagen. So hat sich denn für die alte Wohlfahrtspolizei 
zuletzt eine neue Bezeichnung herausgebildet. Die Polizeigewalt, 
sagte man, ist nur dazu bestimmt, von dem Gemeinwesen und den 
einzelnen Bürgern Gefahren abzuwenden (Sicherheitspolizei). 
Was die Obrigkeit darüber hinaus noch tut, ist nicht mehr Polizei, 
sondern Pflege: Wohlfahrtspflege, Kulturpflege, Staatspflege®. 
Vgl. auch Pölitz, St.Wissensch. I S.498, II S.453 ff. Lotz, Begriff der Pol. 
S.79 ff., bezeichnete diese beiden Polizeiarten direkt nach der Verschiedenheit 
der anzuwendenden Mittel als „Zwangs- und Hilfspolizei“. 
8 Pütter, Inst. jur. publ. $ 331, sieht zunächst das Wesen der Polizei 
in der obrigkeitlichen Gewalt, verwendet zur Abwehr von Gefahren (Sicher- 
heitspolizei). Das jus politiae ist „ea supremae potestatis pars, qua exercetur 
cura avertendi mala futura in statu reipublicae interno“. Zur Wohlfahrts- 
polizei gelangt er von da aus erst mittelbar und uneigentlicher Weise: 
„Y) Promovendae salutis cura proprie non est politiae, nisi quatenus ea mente 
agitur, ut tanto lautior sit status isti malo, quod metuebatur, directe oppo- 
situs“. Ebenso Haeberlin, StR. II$S 331: „... ob Beförderung des 
öffentlichen Wohles ein Gegenstand der Polizei sei... möchte insofern 
allerdings zu bejahen sein, als durch die möglichste Beförderung des Wohl- 
standes zuverlässig das entgegengesetzte Übel abgewendet wird... .. doch ist 
sie nur Neben-, nicht aber Hauptzweck.“ — Klüber, Öff. R. $ 386, bringt 
diese Unterscheidung schon in Zusammenhang mit den Grundsätzen des Ver- 
fassungsstaates: „Natürliche Freiheit und wohlerworbene Rechte der Ein- 
wohner sind einer Einschränkung durch Gebot oder Verbot der Polizeigewalt 
nur soweit unterworfen, als bei der SicherheitPolizei der Staatszweck, bei der 
WohltahrtPolizei die im voraus oder gleichzeitig erteilte, ausdrückliche oder 
stillschweigende Einwilligung der StaatsgesellschaftGenossen (Gesetz oder 
Gewohnheitsrecht) es gestattet.“ 
® Einen Anlauf zu förmlicher Absonderung dieser Dinge nahm schon 
v. Berg, Pol. R. IS. 12 ff. Dagegen aber Widerspruch von Drais in Bl. f. 
Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. Berg in Pol. R. IV S. 14 glattweg 
erklärt: „er hat recht“, und auf die Ausscheidung der Wohlfahrtspolizei ver- 
zichtet. Goenner, St.R. (1804), stellt der Polizei, die es „immer nur mit 
Sicherheit zu tun hat“ ($ 328), das „Regierungsrecht im Wohlfahrts-
	        
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