Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 19. Entwicklung des Polizeibegrifis. 915 
1I. Inzwischen war unser Verfassungs- und Rechtsstaat heran- 
gewachsen, der Begriff Verwaltung hatte sich gebildet; vor den 
neuen Garantien der Freiheit gegenüber der obrigkeitlichen Gewalt 
treten alle bisherigen Bestrebungen in dieser Richtung zurück: 
kein Eingriff mehr ohne gesetzliche Grundlage, das ist die Haupt- 
sache. Die Lehre glaubte deshalb eine Zeit lang, auf jede genauere 
Bestimmung der Polizei nach ihrem Zwecke verzichten zu können, 
und bezeichnete sie schlechthin als Verwaltung mit Zwangs- 
gewalt oder gar als die Zwangsgewalt in der Ver- 
waltung. Die Farb- und Wertlosigkeit dieses Polizeibegriffes 
wurde dadurch nicht gehoben, daß man versuchte, ihn auf die 
innere Verwaltung zu beschränken; diese ist eben auch nichts 
als schlechthin die ganze Verwaltung mit Abzug nur der besonders 
ausgebildeten Zweige: Äußeres, Heer, Justiz und Finanz. Sie gibt 
der obrigkeitlichen Gewalt, die bei ihr zur Verwendung kommt, 
nicht von selbst eine besondere Eigentümlichkeit, wie die Polizei 
sie doch haben soll. Darum stimmt es auch bei dieser Abgrenzung 
nach keiner Richtung mit der Wirklichkeit. Weder ist aller 
Zwang in der inneren Verwaltung Polizei (Zwangsinnung, Post- 
zwang), noch fehlt es an richtiger Polizei außerhalb der inneren 
Verwaltung (Sitzungspolizei, Polizei der Festungswerke) !®. 
Der Zusammenhang mit der bisherigen Entwicklung darf nicht 
so jäh zerrissen werden; man kommt sonst zu keiner festen 
Wortbedeutung und verliert vor allem das Verständnis für ein 
noch sehr lebendig gebliebenes Stück der alten Anschauungen. 
Das ist der naturrechtliche Gedanke, daß für die Abwehr von 
Gefahren, für die Sicherheitspolizei, die eigentliche Polizei im 
Gegensatz zur Pflege, der Zwang etwas Selbstverständliches 
sei. Es gehört von vornherein nicht zur Freiheit des Einzelnen, 
fach“ gegenüber, „allemal ohne Zwang“ ($ 275, IX). — Die Bezeichnung 
„Pflege“ erscheint dann bei v. Aretin, St.R. d. konstitut. Monarchie 11 S. 180, 
S. 181; Zachariae, Vierzig Bücher I S. 29, S. 120, II S. 288; Mohl, Pol. 
Wissensch. I S. 10; Zimmermann, Deutsche Pol. des 19. Jahrh. I S. 133; 
Rau, in Ztschft. f. St.Wissensch. 1853 S. 605 fi. 
10 Für diese formalistische Auffassung war tonangebend Bluntschli, 
Allg. St.R. 11 S. 169 ff. Vgl. auch Medicus, in Staatswörterb. VIII S. 131; 
L. Stein, V.Lehre I 8. 196 ff.; Loening, V.R. 8. 8; Sarwey, Allg. V.R. 
S. 63; G. Meyer, V.R. (1883) I S. 58/59; G. Meyer-Dochow, V.R. (1910) 
S. 80 (anders 1913 S.5 ff); G. Meyer-Anschütz, St.R. S. 644; Gerland, in 
Arch. f. öff. R. VS 74; Rosin, Pol. Verord.R. S. 131. — Sarwey,a.20. 
S. 46 bemerkt mit Recht: „Man hätte daher folgerichtig den Ausdruck Polizei 
überhaupt aufgeben sollen,“
	        
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