$ 21. Der Polizeibefehl. 239
Vom Standpunkte des Rechtsstaates aus ist es nicht
gleichgültig, in welcher Weise diese verschiedenen Erscheinungs-
arten des Polizeibefehls zur Verwendung gelangen.
Seine Forderung ist, daß alles möglichst durch Rechtssatz, also
Polizeigesetz und Polizeiverordnung bestimmt sei (vgl. oben $ 5, III).
Verfassungsrechtlich ist es zweifellos zulässig, daß das Gesetz
Polizeiverfügungen mit weitestem Spielraum ermächtige, um für den
Einzelfall den Inhalt der polizeilichen Rechtspflicht schöpferisch zu
bestimmen und danach Gehorsam zu befehlen. Dem Rechtsstaate
aber entspricht eine solche Abdankung des Rechtssatzes zugunsten
der Willkür des Einzelaktes nicht. Deshalb wird sein Gesetz
möglichst nicht so verfahren. Es wird auch im Zweifel nicht so
ausgelegt werden dürfen, als seien ihm Rechtssatz und Verfügung
gleichwertig und gleichberechtigte Formen, um von seinen Er-
mächtigungen Gebrauch zu machen: seine Ermächtigung geht auf
die Verordnung vorzugsweise. Daraus ergeben sich rechtlich
bedeutsame Folgerungen:
1. Wo einer Behörde gesetzlich die Ermächtigung erteilt ist,
im Einzelfall zu befehlen, was polizeilich geschuldet sei, liegt darin
allerdings nicht die Verleihung der Fähigkeit zur Verordnung;
denn diese bedeutet ja wieder eine besondere, besonders zu ver-
leihende Kraft des Gesetzes (vgl. oben $ 6 n. 1). Aber auch um-
gekehrt: wo die Behörde zu Polizeiverordnungen ermächtigt ist,
ist sie nicht von selbst befugt, die gleichen Dinge auch in Form
der Polizeiverfügung unmittelbar zu erledigen. Der Schluß von
dem Mehr auf das Weniger ist unstatthaf. Denn die Ver-
ordnung ist nicht bloß das Mehr, sondern im Sinne des Rechts-
staates und des ermächtigenden Gesetzes auch das Bessere. Soweit
also die Polizeiverordnung, die rechtssatzmäßige Regelung möglich
in O.L.G. München 28. Okt. 1897 (Reger XVII SS. 92): Der Gendarm hatte die
Angeklagten aufgefordert, ihren Standort am Trottoir zu verlassen; das l,and-
gericht war der Meinung gewesen, die „für den einzelnen Fall zutreffenden
Anordnungen“ müßten wenigstens von einer „Behörde“ ausgehen, nicht von
einem „polizeilichen Hilfsorgan“; das O.L.G. aber erkennt den Befehl des
Gendarmen als rechtsverbindlich an. Diese Befehlsgewalt der Nichtbehörde
ist allerdings juristisch nur haltbar auf Grund der noch nicht völlig über-
wundenen Auffassung des Straßenverkehrs als einer besonderen Gewährung
von Seiten des Staats, als einer Anstaltsnutzung, die den Benutzenden unter
die Anstaltsgewalt bringt; da sind dann solche Anweisungen des Anstalts-
personals erklärlich, die gleichwohl auch als Polizeibefehle gelten können.
Wir werden unten $ 38, II n. 1 und $ 52, 1I darauf zurückkommen.
6 Thoma, Polizeibefehl S. 59 fi.