Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 24. Polizeiliche Zwangsvollstreckung. 209 
nahmsweise Versuche dieser Art gestattet, so sind sie eng zu be- 
grenzen auf ihren bestimmten Zweck und Gegenstand ®!. 
Bleibt also nur Dulden und Unterlassen. Auch da ist zu 
sagen: wenn die Gewaltanwendung ihr Ziel nur durch ein völliges 
Unschädlichmachen der Person erreichen könnte, ist sie kein 
selbstverständliches Zwangsmittel zur Durchsetzung des Befehls: 
der Eingriff würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wider- 
sprechen und ist deshalb besonderer gesetzlicher Regelung vor- 
behalten ®®, 
Außerdem darf nicht übersehen werden, daß der Zwang zum 
Dulden behufs gewaltsamer Beseitigung und Veränderung von 
Sachen des Pflichtigen in den meisten Fällen in das Zwangsmittel 
#1 Tatsächlich wird noch viel zu viel mit Gewaltanwendung gearbeitet. 
Das mißbräuchlich in Anspruch genommene Recht auf persönliches Erscheinen 
zur Auskunftserteilung (vgl. oben 8 20 Note 21) vervollständigt sich durch 
mißbräuchliche Gewaltanwendung, um die Befolgung der Einladung zu cer- 
zwingen: Realzitation, Sistierung, Zwangsgestellung nennt es der Kanzleistil. 
Das, was man braucht, die nützliche Aussage, läßt sich dadurch nicht er- 
zwingen; es gibt ja keine Vereidigung, keine Bestrafung der unrichtigen Aus- 
sage, auch keinen Zwang zum Reden, sofern nicht die Gewaltanwendung bei 
der Vorführung als Folter wirkt. Fleiner, Instit. S. 215, Note 36, findet sich 
wit diesen Bedenken ab durch die Bemerkung: der Erfolg sei „eine Sache 
für sich“. Aber alle Polizeigewaltübung rechtfertigt sich nur durch ihre Ge- 
eignetheit für den bestimmten Erfolg, durch ihren Zweck. Nun haben ja diese 
Gewaltmaßregeln allerdings ihren Zweck, aber der ist kein polizeilicher und 
wird überhaupt nie so gerade heraus eingestanden: die verletzte Autorität 
verschafft sich eine eklatante Genugtuung an dem Menschen, der ihre Ein- 
ladung nicht ehrt. Das tritt auch sonst bei der Verwendung dieses „Zwangs- 
mittels“ recht unverkennbar zutage. Sehr hübsch sind z.B. die Fälle in 0.V.G. 
1. Dez. 1880 (Min.Bl. 1880, S.49) und 16. Nov. 1881 (Entsch. VIII, S. 407). Im 
ersteren hatte bei einer Feuersbrunst der Bürgermeister einem zuschauenden 
Apothekerlehrling befohlen, eine Handspritze zu tragen; Ungehorsam;; sofortige 
Verhaftung; im Arrestlokal erklärt er sich zu allem bereit, auf den Platz ge- 
führt versagt er aber auf’s neue; neue Verhaftung. Das Gericht erklärt dieses 
Verfahren für zulässig nach Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit 
v. 12. Febr. 1850 wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die an- 
steckende Macht des schlechten Beispiels, das der Ungehorsam den Leuten 
gab. Ähnlich erging es im zweiten Falle dem Kommandanten der freiwilligen 
Feuerwehr, der trotz Anordnung des Polizeibeamten nach gelöschtem Brande 
nicht mehr dableiben wollte, da dieser ihm nichts zu befehlen habe, sondern 
ihn nur ersuchen könne. Von Erzwingung eines Polizeibefehls ist natürlich 
auch hier keine Rede. Die Bekämpfung einer Gefahr für die öffentliche 
Sicherheit ist nur ein Vorwand. Es handelt sich um ein Stück russischen 
Verwaltungsrechts. 
32 Vgl. unten $ 26, II n. 1. Auch im Zivilprozeß ist diese beschränkte 
Brauchbarkeit der Gewaltanwendung anerkannt: Hahu, Mat. I, S. 466.
	        
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