Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

$ 3. Die landesherrlichen Hoheitsrechte. 37 
Landeshoheit“. Wenn der Landesherr im Besitze der Ausübung 
eines Hoheitsrechtes ist, so kann er auf eigene Faust mit Gewalt 
sein Recht durchsetzen ohne Rücksicht auf etwaige Rechts- 
bestreitungen. Mandate und inhibitoria braucht er nicht zu be- 
achten. Dem Untertanen bleibt nur der Weg der ordentlichen 
Klage ®®, 
Daß Verwaltungsexekution und Polizeizwang aufgefaßt werden 
als Selbsthilfe des Landesherrn zur Geltendmachung seiner Hoheits- 
rechte, ist ein ganz zivilrechtlicher Gedanke; daß aber die Selbst- 
hilfe hier überhaupt zulässig ist, darin liegt doch schon eine An- 
erkennung der Eigenart dieser Rechte. — 
In dieser Weise beherrscht das Reichsgericht mit seiner 
Rechtsprechung, teils mitwirkend, teils äußerlich überwachend, die 
Tätigkeit der Landesgewalt zur Verfolgung der Staatszwecke. 
Ein Gedanke, der heutzutage noch manchmal nachklingt, ist eine 
Wahrheit gewesen für die damalige Stufe der Entwicklung: Recht 
und Rechtspflege stehen über der Staatsgewalt. 
Freilich ist diese Machtstellung weit entfernt, eine voll- 
kommene zu sein. Die Landeshoheit hat schon sehr bald an- 
gefangen, daran zu rütteln. Sie verschafft sich Ausnahmen über 
Ausnahmen und gerade die wichtigeren Gebiete vermochten durch 
die vielgestaltigen privilegia de non appellando die eine Seite der 
reichsgerichtlichen Einwirkung gänzlich auszuschließen. Auch durch 
rechtswidrige Ränke und Gewaltstreiche sucht man den Weg der 
25 Cramer, Wetzl. Nebenst. II S. 122, 1338, 150. Moser, Woahlkap. 
Jos. II. T. 2 S. 183 Anm. 2, S. 165 Anm. 1; Günderode, Abhandlg. d. 
Teutsch. St.R. S. 1131. — Der Landesherr erscheint deshalb nicht leicht 
als Kläger vor dem Reichsgericht; er hat es nicht nötig. Ausnahms- 
weise sucht ein minder mächtiger Fürst den Schutz des Reichsgerichts gegen 
seine störrischen Untertanen, namentlich etwa ein mandatum de manutenendo 
zur Verstärkung seiner Selbsthilfe, wo ihm dann ein tüchtiger Nachbar zur 
Hilfeleistung beigegeben wird; Pütter, Beitr. I, 138$ 2und 3. Doch kommen 
auch sonst wenigstens Widerklagen häufig vor. Beispiele geben bei Cramer 
die endlosen Prozesse des Grafen von Crichingen mit seinen Bauern; Wetzl. 
Nebenst. IIC S. 129, IC S. 93, 99, 104, C S. 67, 92. Nach langer Abwesenheit 
des Hauses an fremden Höfen kommt endlich wieder einmal ein Graf dazu, seinen 
Wohnsitz in der Herrschaft zu nehmen, und beginnt nun sofort, „seine 
Regimentsverfassung nach den neuesten Maßregeln der Landeshoheit in fore- 
stalibus, politicis et oeconomicis, auch militaribus einzurichten, welches den 
Criechingischen Untertanen als eine ihren alten Rechten und Herkommen höchst 
nachteilige Neuerung angeschienen“. Alte und neue Art platzen aufeinander 
und das Reichskammergericht bemüht sich redlich, Sonne und Wind gleich zu 
verteilen.
	        
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