$ 4. Der Polizeistaat. 49
III. Dafür nehmen nunmehr Zivilrecht und Zivilrechts-
pflege einen mächtigen Aufschwung und füllen durch den weiten
Umfang, in welchem sie auf das Verhältnis zwischen Staat und
Untertan zur Auwendung kommen, die Lücken aus, welche das
Rechtsgefühl gegenüber diesem Stande des öffentlichen Rechts
empfinden möchte.
1. Klagen der Untertanen gegen den Lundesherrn
sollen im alten Rechte an die Austräge und von da an die Reichs-
gerichte gehen. Es war jedoch Brauch geworden, daß man einen
Unterschied machte, ob der Landesherr als solcher oder als
privatus belangt wurde. Ersteres sollte der Fall sein, wenn es
sich um seine Hoheitsrechte handelte, letzteres, wenn ein Ver-
hältnis des gewöhnlichen Vermögensverkehrs in Frage stand. Hier
kommt denn die Scheidung von öffentlichem Recht und Zivilrecht
zum Durchbruch. Für die Klage gegen den Landesherrn als
privatus, gegen die fürstliche Kammer oder den landesherrlichen
Fiskus, wurde die Zuständigkeit der ordentlichen Landesgerichte
anerkannt. Die Rechtsgrundlage dafür fand man in der Annahme,
daß dieselben stillschweigend als Austrägalgerichte gewählt worden
seien. Dieser Grund hätte auch für die Klagen in hoheitsrecht-
lichen Sachen ausgereicht. Aber man schätzte diese Sachen für
so unverhältnismäßig wichtiger, daß eine stillschweigende Unter-
werfung der Untertanen unter die eigenen Gerichte ihres Gegners
dafür nicht angenommen werden dürfe?‘. Waren die Landes-
gerichte in jenen Privatsachen Austrägalgerichte, so mußte es
von ihnen stets eine Berufung an die Reichsgerichte geben, selbst
im Fall eines allgemeinen privilegium de non appellando, weil
solches hierfür nicht galt. Dem widerstrebten aber die Landes-
herren, und die Wahlkapitulationen entscheiden zuletzt dahin, daß
die Reichsgerichte mit derartigen Sachen weder unmittelbar noch
im Wege der Berufung mehr befaßt werden sollen. Die „Landes-
dikasterien“ sind also Alleinherren?!. Es ist bezeichnend, wie
viele Umstände man machen zu müssen glaubte, um in diesen
Sachen den Richtern, die doch nun einmal Beamte der Partei sind,
Unparteilichkeit und Vertrauenswürdigkeit zu sichern. Zu dem
gewöhnlichen Verzicht auf Machtsprüche kommt hier vor Ein-
flügeltes Wort; man pflegte sich damit die anspruchsvolle Rechtswissenschaft
vom Leibe zu halten.
3° Struben, Rechtl. Bed. V (J.S.) S. 40 Note 3, gibt diese Berründung.
1 Moser, Wahlkap. Jos. Il. T.2S. 253; Schmelzer, Wahlkap. Franz 11.
S. 153; Häberlin, St.R. II S. 460 ff.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I 2. Aufl. 4