Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.1. Deutsches Verwaltungsrecht. (1)

58 Geschichtliche Entwicklungsstufen. 
Für uns ist wichtiger, daß dadurch zugleich noch ein anderer 
Zweck erreicht wird: die Sicherung der Herrschaft des 
Gesetzes. Die in der Form des verfassungsmäßigen Gesetzes 
ergehende staatliche Willensäußerung ist bestimmt, bindende 
allgemeine Vorschriften zu liefern im Sinne des alten Gesetzes- 
begriffes und zwar so bindende und unverbrüchliche, wie das 
Rechtsgesetz für die Justiz sie bisher schon bedeutete. Dazu 
genügt nicht, daß man sie durch eine beliebige Form der Ent- 
stehung äußerlich unterscheidet. Die Erfahrung hat gelehrt: so 
lange ein und dieselbe Willensmacht über die Gesetze verfügt 
und über ihre Handhabung, ist kein Verlaß auf sie. Es bedarf 
einer Hemmungsvorrichtung, damit diese Dinge nicht wieder 
ineinanderfließen, und die liefert allein die Selbständigkeit (Trennung) 
der zweierlei Gewalten: ein anderer Wille muß noch hinzu- 
kommen, der das Recht und die Aufgabe der einen Gewalt als 
sein Recht und seine Aufgabe verteidigt und der verletzt wird 
durch Übergriffe darein®. 
Es braucht nicht notwendig der Wille einer Volksvertretung 
zu sein, der so beteiligt wird. Wo die Unabhängigkeit der 
Gerichte sich durchgerungen hat, besteht auch in der absoluten 
Monarchie diese Herrschaft des Gesetzes für den Bereich der 
Justiz. So war es in Frankreich schon im ancien r&egime, so in 
Deutschland, namentlich in Preußen, lange vor der Verfassung *. 
Das Neue und Wirkungsvollere ist aber nun, die Hemmungs- 
vorrichtung und den beteiligten anderen Willen anzubringen an 
der oberen Stelle, an dem Gesetze selbst, dessen Herrschaft ge- 
sichert werden soll. Nichtbeachtung des Gesetzes durch den 
Fürsten und seine Leute ist jetzt eine Verletzung der Rechte 
3 So ist es gemeint bei Montesquieu, esprit des lois l. XI chap. III. 
Rousseau, wenn auch der politische Gedanke bei ihm überwiegt, bedeutet 
doch in diesem Punkte keinen Gegensatz: auch er will in seinem etat regi 
par des lois eine solche Trennung der Gewalten (contr. soc. 1. III chap. 7, — 
Es beruht auf plumpem Mißverständnis, wenn man, wie das namentlich in 
Frankreich geschehen ist, diese Idee mit dem Vorwurfe bekämpft, sie zerreiße 
die Einheit des Staates. Das Gegenstück zu diesen Übertreibungen bieten bei 
uns die Staatsrechtslehrer, die da beruhigend versichern: es handle sich nur 
um verschiedene „Funktionen“ des Staates, von der Wissenschaft als solche 
wohl getrennt zu halten. Ganz so harmlos ist die Sache auch wieder nicht. 
* In diesem Sinne entwickelt Montesquieu die Idee der Trennung der 
Gewalten schon in seiner Lehre von der Monarchie als der Herrschaft „nach 
Gesetzen“ (espr. des lois 1. II chap. IV). Vgl. auch oben $4, In. 3 u. Il 
Note 11.
	        
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