$ 5. Der Rechtsstaat. 59
der Volksvertretung und des hinter ihr stehenden
Volkes. Das ist ein viel kräftigeres Recht noch als die Un-
abhängigkeit der Richter, die jetzt, als gesetzlich oder verfassungs-
mäßig festgelegt, zugleich noch mit unter seinen Schutz genommen
wird. Vor allem aber ist dadurch die Möglichkeit gegeben, jene
Herrschaft des Gesetzes auszudehnen über den Bereich der Justiz
hinaus, auf die ganze Verwaltung, wie sie vom Fürsten
selbst und von seinem nicht mit richterlicher Unabhängigkeit aus-
gestatteten Beamtentum geführt wird. Das Mittel ist geschaffen,
unverbrüchliches zuverlässiges Recht, für welches die Justiz schon
immer das Vorbild bot, auch dort hineinzustellen, wo es bisher
tatsächlich nicht zu verwirklichen gewesen war.
II. Als der erste Lärm des neuen parlamentarischen Lebens
vorüber war, setzte eine kräftige Geistesbewegung ein, die ihre
Ziele zusammenfaßte in das Schlagwort Rechtsstaat.
Es bedeutet weitere Forderungen, die erfüllt werden mußten,
sollte nicht der alte Polizeistaat trotz der Verfassung fortbestehen.
Man spricht von einer Durchführung der Verfassung, von ihrem
inneren Ausbau, vom Verfassungs- und Rechtsstaat®. Der Rechts-
staat soll, wie der Polizeistaat, die besondere Art kennzeichnen,
wie der Staat tätig ist, und zwar besteht sein Gegensatz zu jenem
darin, daß er seine Wirksamkeit in der Weise des Rechts „be-
stimmt“ ?.
Worum es sich dabei handelte, das erhält sofort eine genauere
Bestimmung durch das Gebiet, auf welches sich die Forderungen
des Rechtsstaates beschränken. Die Justiz ist außer Frage; bei
ihr ist von vornherein alles in Ordnung. Was erst noch in
Ordnung zu bringen ist, das ist die daneben stehende Staats-
6 Loening, in Schmollers Jhrb. 1881 S. 801; Sarwey, Allg. Verw.R.
8. 86. — Nach Gneist, Verw. Just. Rechtsweg S. 189, wäre sogar erst nach
Einführung der Verfassung durch die „konstitutionelle Parteiregierung“ der
bisherige „Rechtsstaat“ zerstört worden. Beides, sowohl die konstitutionelle
Parteiregierung (in Preußen!), wie der vorausgehende Rechtsstaat, dürfte aber
zu bezweifeln sein.
© Rosin, Pol. Verord.R. S. 3; Seydel, Bayr. St.R. I S. 615; Gareis,
Allg. St.R. S. 140; Sarwey, Allg. Verw.R. S. 17; Schulze, Preuß. St.R. I
8. 858.
7 So Stahl, Rechts- und Staatslehre II S. 137. Auch von seinen Gegnern
wird diese Formel als richtig anerkannt: Bähr, Rechtsstaat S. 1; Gneist,
Rechtsstaat S. 3838; Gumplowicz, Rechtsstaat u. Sozialismus S. 13. Ähnlich
Gierke in Ztschft. f. Stsw. XXX S. 18: „Rechtsstaat ist ein Staat, welcher
sich nicht über, sondern in das Recht stellt.“ Viel mehr als eine Umschreibung
des Namens wird uns auf diese Weise freilich nicht gegeben.