$ 6. Die Herrschaft des Gesetzes. 67
einzelnen Gesetze zur Wirksamkeit gelangen, das ist be-
dingt von dem jeweiligen Inhalt des Gesetzeswillens?®.
Nach diesen Grundlinien entfaltet sich nun das Wesen des
Gesetzes im einzelnen wie folgt:
1. Die wichtigste Eigenschaft des verfassungsmäßigen Gesetzes,
nach der es ja auch benannt ist, ist die ihm innewohnende bindende
Kraft, die Fähigkeit, in Rechtssätzen zu sprechen. Der
Rechtssatz ist eine Bestimmung dessen, was Rechtens sein soll für
jedermann, bei dem ein nach allgemeinen Merkmalen bezeichneter
Tatbestand sich verwirklicht findet. So wirken zu können, ist
aber etwas ganz besonderes, was dem Einzelmenschen nicht ge-
geben ist und auch nicht mit der Erscheinung des Staatswillens
von selbst verbunden. Nach der Verfassung soll es die eigen-
tümliche Fähigkeit des vom Fürsten mit der Volksvertretung zu
erlassenden Gesetzes sein. Den anderen Arten von Erscheinungen
des Staatswillens ist diese Fähigkeit nicht erst durch einen be-
sonderen Vorbehalt des Gesetzes entzogen, sondern sie gehört ihnen
von Natur nicht.
Wenn das Gesetz in der es kenntlich machenden Form er-
scheint, ist es immer ausgestattet mit seiner bindenden Kraft. Es
ist auch zu vermuten, daß es erlassen ist, um von dieser Gebrauch
zu machen. Daher auch jedes Gesetz ohne Unterschied zu der
förmlichen Veröffentlichung gebracht wird, die eigentlich nur Rechts-
sätzen zukommt. Dann mag ruhig abgewartet werden, daß das
wirkliche Leben seine unberechenbare Mannigfaltigkeit diesen
Gesetzesbestimmungen entgegenwirft, um erkennen zu lassen, was
daran Rechtssatznatur hat. Vorher braucht man es auch nicht zu
wissen, jedenfalls darf man nicht zu rasch bei der Hand sein, einem
Gesetze diese Wirkung abzusprechen *.
® L,aband, St.R. 11 S. 68, unterscheidet gleichfalls verschiedene Seiten
der „Gesetzeskraft“, läßt sie aber auch äußerlich ganz auseinandergehen da-
durch, daß die Wirkungen der einen „auf der Form“, die der anderen „auf
dem Inhalt“ beruhen. Unsere nur scheinbar wenig abweichende Formulierung
wird ein lebendigeres Bild geben von dem, was das Gesetz ist.
* Seligmann, Das Gesetz S. 103ff., nimmt eine Reihe von Gesetzen
durch, um genau auszuscheiden, was an jedem Rechtsnorm ist und was irgend-
welcher anderen Natur. Als der unzweifelhafteste Fall einer Nicht-Rechts-
norm gilt ihm die Bestimmung der Dienststunden einer Behörde (S. 107). Allein
für den Untertanen kann auch das wichtig werden, wenn es sich darum handelt,
binnen gewisser Frist eine Erklärung abzugeben, eine Zahlung zu leisten. Da
gibt ihm ein solches Gesetz die rechtssatzmäßige Sicherheit. Seydel, Bayr. St.
R. II S. 261, erklärt ganz allgemein, es sei klar, daß die Schaflung von Be-
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