72 Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
Die Aufzählungen stimmen nicht überein. Es ist auch leicht,
an ihnen Kritik zu üben. Tatsächlich entstehen kaum jemals
Schwierigkeiten. Es erhält alles seine Ergänzung durch bestimmte
Anschauungen von dem, was nach „allgemeinem konstitutionellem
Staatsrechte* zu dem so umhegten Rechtskreis gehören soll’®.
Wenn einmal in einer Verfassung gar nichts davon gesagt ist,
versteht es sich jetzt von selbst. So begnügt sich namentlich
R.Verf. Art. 5 zu bestimmen: „die Reichsgesetzgebung wird aus-
geübt durch Bundesrat und Reichstag“ — und alles weiß, daß eine
solche Willensäußerung von Bundesrat und Reichstag, wie einem
Gesetze gebührt, allein auch ausgestattet ist mit der Kraft,
Freiheit und Eigentum der Deutschen in Anspruch zu nehmen.
Nicht weil es für sie keine Freiheitsrechte gibt, nennt sie die
Reichsverfassung nicht mehr, sondern weil sie, wenigstens in diesem
allgemeinen wesentlichen Begriff, selbstverständlich sind !%.
Sind die Verfassungen auf solche Weise zu ergänzen, so ge-
Aufstellung fester Schranken für die Staatsgewalt“ und demgemäß einen Abfall
von Rousseaus puissance souveraine des allgemeinen Willens (S. 6, 7). Was
dadurch beschränkt wird, ist lediglich das Königtum, die vollziehende Gewalt.
Und zwar in echt demokratischer Weise. Die wichtigsten Seiten, an welchen
der Mensch und Bürger der Staatsgewalt gegenüber empfindlich ist, werden
unter die Obhut des Gesetzes und damit der Nationalversammlung genommen,
die dafür gut steht, daß es nicht allzuschlimm wird; das ist ihr Pakt mit der
Masse. Das Gesetz kann alles; alle Freiheitsrechte, Art. 4 bis Art. 11 der
Erklärung, sind durch das Gesetz beschränkbar. Das Gesetz ist aber auch der
Staat. — Für die amerikanischen Verfassungen mag das anders aussehen; da
gelten die Beschränkungen für die ganze „konstituierte Staatsgewalt“. Dort
bleibt eben auch immer der eigentliche Souverän, „we the people“, lebendig,
um nötigenfalls mittels besonders beauftragter Versammlungen (conventions)
die Verfassung schrankenlos zu ergänzen (Bryce, Americ. Commonwealth,
Franz. Ausg. 1%0, I S. 575 ff). Für uns ist nur das in der Charte con-
stitutionnelle von 1814 festgelegte französische System der Freiheitsrechte maß-
gebend, dem unsere Verfassungen sich ja angeschlossen haben.
18 Zachariae, St.R. I S. 458; Schmitthenner, Allg. St.R. S. 562;
Jellinek, Subj. öff. R. S. 105; Giese, die Grundrechte S. 26. Thoma,
Polizeibefehl S. 99, will den Satz: „Eingriffe in Freiheit und Eigentum gehören
zum Vorbehalte des Gesetzes“ lediglich als „eines der obersten Postulate des
monarchischen Konstitutionalismus“ gelten lassen. Das ist er ursprünglich auch
nur; aber die Verfassungen haben durch Aufnahme in ihren Text geltendes
Recht daraus gemacht, das übereinstimmende Auslegungen gestattet. Be-
sonderheiten sind selbstverständlich zu beachten; hier kommt es aber darauf
nicht an.
# Laband, St.R. IIS.186; Jellinek, Erklärung d. Menschenrechte S.$,
Letzterer scheint allerdings eine unmittelbare Rückwirkung der einzelstaat-
lichen Grundrechte auf das Reich anzunehmen, was ich nicht für richtig halte