$ 37. Der Gemeingebrauch. 147
Gerade für diese Benutzungen des Raumes auf der Straße vor
den Häusern läßt sich gar keine allgemeine Regel aufstellen. Hier
ist alles örtlich-sittlich und soweit Recht. Je kleiner, je alt-
modischer die Ortschaft ist, desto stärker wirken Anschauungen
aus der ursprünglichen Allmendzeit noch nach. Ein großer Teil
des Lebens der Bevölkerung spielt sich auf der Straße ab. Man
läßt allerlei Geräte, Karren und Fässer da herumstehen, stellt sich
des Abends Bänke vors Haus, um Luft zu schnappen, der Handwerks-
betrieb findet teilweise auf der Straße statt, wie nicht minder die
Kindererziehung. Die neu angelegten Straßen sind weit strenger
abgeschlossen gegenüber der Freiheit des Privatlebens, sie dienen
immer ausschließlicher nur dem wirklichen Verkehr und dem was
einigermaßen damit zusammenhängt. Innerhalb ein und derselben
Stadt zeigt der Gemeingebrauch Verschiedenheiten, je nachdem
man die Altstadt betrachtet oder die Neustadt. Das Üpbliche,
Herkömmliche, Gewohnte, die gemeine Anschauung über die Grenzen
der Freiheit ist alles. Mit Gewohnheitsrecht, Ersitzung und allen
sonstigen formellen Rechtstiteln ist hier nicht auszukommen !".
— Von den übrigen öffentlichen Sachen stehen Plätze und
Brücken den Straßen am nächsten, der Gemeingebrauch ist hier
ähnlichen Inhalts. Nur ist er bei den Brücken strenger auf den
eigentlichen Verkehr beschränkt: viele Dinge sind schon demnach
" Es kommt vor, daß der alte ausgedehntere Gemeingebrauch sich nur an
der einen oder anderen Stelle noch tatsächlich aufrechterhält. Das gibt dann für
die Gerichte, welche die Sache nicht einfach geschichtlich verstehen wollen,
Schwierigkeiten der Konstruktion. Bl. f. ad. Pr. 1886 S. 129 £. bringen den Fall:
Ein Schmied hielt vor seinem Hause eine Hufbeschlagbrücke. Das O.L.G. sagt:
„Nach alter deutscher Rechtsanschauung wird der längs der Häuser hinziehende
Fuß. oder Bürgersteig als Teil der Straße behandelt“, aber vielfach ist den Hand-
werkern gestattet, darauf zu arbeiten, freilich nur „begünstigungsweise“ ; es meint,
das ei ein precarium, das, wie jeder Vertrag, auch stillschweigend möglich sei.
Der Rechtsbeistand des Schmiedes behauptete eine Servitut. Der Schmied selbst
hatte offenbar die Straße „nach alter deutscher Rechtsanschauung“ noch als Allmend
behandelt. Das war als im Gemeingebrauch begriffen anzusehen, solange nicht
die Polizei der öffentlichen Sache mit ihren Ordnungen dagegen eingeschritten
ist, um den Erfordernissen des neuen Verkehrs gerecht zu werden. Vgl. unten
IN n.2. — R.G. 16. Febr. 1887 (Reger VII S. 309) behandelt den Fall, wo ein
Hausbesitzer auf der Straße vor seinem Hause Wagen und Ackergeräte aufzustellen
pflegt. Das Reichsgericht findet, daß das kein Gemeingebrauch sei, da es sich um
eine „dauernde und vorzugsweise Nutzung“ handle, die nicht im Gemeingebrauch
enthalten sein könne; es nimmt deshalb, nicht ohne Bemühung, die Ersitzung
eines dinglichen Rechts an der Straße an. Aber andere Ortsbewohner machen
€® wohl auch so oder machten es früher so. Es ist einfach ein Rest alten aus-
gedehnteren Gemeingebrauchs, was man da vor sich hatte. Ig*