164 Das öffentliche Sachenrecht.
Dieses dingliche Recht hätte zum Inhalt nichts anderes, als was
eben der Gemeingebrauch an der Straße dem Anlieger ohnehin
gewährt. Es wird also nicht sichtbar, so lange die Straße und
ihre Benutzbarkeit besteht. Es könnte erst wirksam werden, wenn
die Straße unbenutzbar gemacht wird durch Einziehung oder Ver-
änderung. Allein das Merkwürdige ist, daß alsdann die Grund-
dienstbarkeit erst recht nicht zum Vorschein kommt: man kann
sie nicht geltend machen und in Anspruch nehmen als solche; man
kann nur Schadensersatz fordern dafür, daß sie auch jetzt nicht
besteht. Ihr Lebenszweck geht also ganz und gar darin auf, als
Grundlage zu dienen für die Zubilligung einer Entschädigung, zu
der man sonst keinen Weg weiß. Es ist nichts als eine Hilfslinie
bei der Konstruktion #.
Der Jurist darf nicht allzu streng sein mit solchen Erzeugnissen
der Verlegenheit; wir sind nun einmal dazu da, die Erscheinungen
des Rechtslebens unterzubringen in den überkommenen Gefächern
unseres Denkvermögens. Das Schlimme ist nur, daß dieses Aus-
kunftsmittel ebenso das Bild der öffentlichen Sache verdirbt wie des
Gemeingebrauchs. Um damit fertig zu werden, ist es vor allem
notwendig, einen freieren Blick zu gewinnen für die Rigenart unseres
6 Ganz vereinzelt tritt der Gedanke auf, daß jene Dienstbarkeit nach Ein-
ziehung der öffentlichen Straße an dem alten Straßenboden sich wirksam erweise,
in O.Tr. 27. April 1869 (Str. LXXIV S. 278): In Bonn hatte die Stadt einen Teil
der ‚bisherigen Straße zu dem Hausbau eines Privaten abgetreten; der Nachbar
verliert seine Aussicht und klagt gegen deu Eigentümer des Neubaues auf Be-
seitigung. Das Obertribunal weist nur deshalb ab, weil das Recht auf Aussicht
in dem „Adjazentenrecht“ nicht begriffen sei. Also an sich bliebe dieses Recht
auch wirksam gegen den Dritten. Ob aber das Gericht danach verfahren wäre,
wenn €8 nicht ohnehin hätte abweisen können? — Wenn man es ernsthaft meinte
mit dem „dinglichen Privatrecht“, entstünde nach Einziehung der Straße die
Schwierigkeit, es wieder wegzuschaffen; man müßte zur Enteignung greifen oder
wieder einen stillschweigenden „öffentlichrechtlichen“ Vertrag erdichten. Aber in
der Wirklichkeit begegnen wir bei solcher Gelegenheit eher der Neubegründung
einer Fenster- und Wegegerechtigkeit an dem ehemaligen Straßengelände, wodurch
ao r aadigungsanspruch verhütet werden soll (Theorie d. franz. Verw.R.
Wünschenswert mag es sein, daß das Gesetz den Entschädigungsanspruch
des Anliegers der eingezogenen Straße ausdrücklich anerkennt; vgl. unten $ 54
Note 23. Wo ‚das geschehen ist, denkt kein Mensch mehr daran, sich mit der
‚onstruktion einer vertragsmäßigen Grunddienstbarkeit usw. zu bemühen. Wenn
dieser Vertrag ernsthaft gemeint wäre, müßte er jetzt doch fortwährend noch be-
gründet werden. Aber seine einzige Rechtfertigung lag eben von jeher nur in
dem guten Zweck, eine Entschädi
ch, gung zusprechen zu können, wofür er das Mittel
sein sollte. Mit diesem Zweck fällt er hier von selbst weg.