Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.2. Deutsches Verwaltungsrecht. (2)

40 Das öffentliche Sachenrecht. 
I. Die Hauptwirkung der Enteignung wird darzustellen sein 
an dem wichtigsten und einfachsten Fall, wo es sich darum handelt, 
das Eigentum an dem Grundstück dem bisherigen Eigentümer 
gänzlich zu entziehen zugunsten des Öffentlichen Unter- 
nehmens und seines Herrn. Bloße Beschränkungen des Eigentums 
oder Unterdrückungen von daran bestehenden dinglichen Rechten 
regeln sich entsprechend. 
1. Die Wirkung der Enteignung erscheint hier als Eigentümer- 
wechsel, Untergang des Eigentums bei dem bisherigen Eigen- 
tümer unter Neubegründung bei dem die Enteignung be- 
treibenden Unternehmer. 
Die ältere Lehre war noch unzugänglich dem Gedanken, daß 
ein solcher Wechsel sich anders erklären könnte, als vermittelt 
durch die gewohnten Formen des Zivilrechts. Die herrschende 
Auffassung war demgemäß, daß die Enteignung nichts anderes sei 
als ein Zwangsverkauf!. 
! In diesem Lichte sieht die Enteignung namentlich auch A.L.R. I, 11 $4: 
„Auch der Staat ist jemanden zum Verkaufe seiner Sachen zu zwingen nur als- 
dann berechtigt, wenn es zum Wohl des gemeinen Wesens notwendig ist.“ Es 
wäre wunderlich, wenn man damals, auf der Höhe des Polizeistaates, wo das 
öffentliche Recht kein Recht und der Staat als solcher eigentumsunfähig war, die 
Sache anders aufgefaßt hätte. Seitdem hat sich manches geändert in unseren 
Anschauungen; insbesondere ist auch eine Verwaltungsrechtswissenschaft neben 
der alleinherrschenden Zivilrechtswissenschaft entstanden. Wo man aber dieser 
etwas fremd gegenübersteht, erweist sich immer noch in der Anhänglichkeit an 
den alten Zwangskauf die Kraft des Beharrungsvermögens. So namentlich bei den 
Kommentatoren des Preußischen Enteignungsgesetzes: Loebell S. 23, Dalcke 
S. 129, Bähr u, Langerhans S. 110, Eger IS. 26ff. Auch die Justiz be- 
half sich lange damit; Eger a.a. O0. S. 26, 31 u. 32 betont eine „ständige Recht- 
sprechung“ des Reichsgerichts. Das von ihm mit angeführte Urteil v. 2. Dez. 1884 
(Entsch. XII S. 405 £.) spricht allerdings für das Gegenteil, und R.G. 9. Juni 1905 
"(Enntsch. LX S. 102 ff.) sagt sich in ausführlicher Begründung von dem veralteten 
Zwangskauf los, um der hier ausgesprochenen Anschauung beizutreten. Eger 
a. a.0. S. 32 beruft sich jetzt demgegenüber auf Layer, Prinz. d. Ent. S. 318, 
welcher bemerkt, „daß dort, wo die Gesetze die Konstruktion angenommen und 
auch die materiellrechtlichen Konsequenzen daraus gezogen haben, man sich nicht 
darüber hinwegsetzen kann“. Dem kann auch ich zustimmen. Aber der Nach- 
weis, daß das Preuß. Ent.Ges. v. 1874 aus der Zwangskauftheorie „die materiell- 
rechtlichen Konsequenzen gezogen habe“, den Layer verlangt, hat E ger noch zu 
erbringen. Layer meint von dieser nur, sie sei nicht „glatter Nonsens“ — was 
ich ebenfalls zugebe, für ihre Zeit! — und schließt zutreffend: „Richtig ist, daß 
die meisten neueren Gesetze auf einer anderen rechtlichen Auffassung beruhen, 
und daß auch dort, wo die Gesetze ausdrücklich sich nicht hierüber aussprechen, 
dem ganzen Geiste des Instituts eine andere Auffassung kongruenter ist.“ Man
	        
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