490 Das Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
3. Als Gegenstück zu der Gebundenheit der Anstalt, ihre
Leistungen überall zu gewähren, wo die dafür bestimmten all-
gemeinen Voraussetzungen zutreffen, finden wir dann wieder einen
Benutzungszwang. Er kaun verschiedene Gestalten an-
nehmen.
— Wo er am schärfsten auftritt, erscheint er geradezu als
gewaltsame Nötigung: Gefängnis, Besserungsanstalt, Heer
verbinden mit der ihnen eigentümlichen Verfügung über den
Menschen auch einen eingreifenden Zwang zur Benutzung ihrer
Einrichtungen und Leistungen. Aber auch selbständig kann die
Anstaltsbenutzung durch Gewaltanwendung herbeigeführt werden,
namentlich aus polizeilichen Gründen: Absonderung von Seuchen-
verdächtigen, Zwangsheilung ansteckender Krankheiten, Unter-
bringung von Geisteskranken. Gerade der letztgenannte Fall ist
geeignet, die rechtliche Würdigung klarzustellen: Das Benutzungs-
verhältnis des durch die Polizei in die Irrenanstalt Verbrachten
ist dasselbe wie das des Mannes, der sich freiwillig dahin begeben
hältnis des Briefabsenders zur Post geht mit der Annahme des Briefes unter in
dem Massenbetrieb der Anstalt, der dafür sorgt, daß etwas Richtiges herauskommt,
aber eben nach seinen Bedingungen. Insofern gleicht das Recht des Absenders,
eher als dem des Klägers, dem des Wahlberechtigten: auch dieses erschöpft sich
in der Zulassung zur Wahl, der weitere Gang des Wahlverfahrens vollzieht sich
ausschließlich nach Rücksichten staatlicher Ordnung. Vgl. oben Bd. I S. 309 ff.
Hier darf noch eine andere Erscheinung zum Vergleich herangezogen werden.
Gesetzliche Annahmepflicht besteht auch zu Lasten von Unternehmungen mit
privatrechtlich geordnetem Nutzungsverhältnis. Hier nennt man es Kontra-
hierungszwang. Er ist immer schon ein Vorzeichen der herannabenden Aus-
dehnung des richtigen Rechts der öffentlichen Anstalten auch auf diese Fälle
(vgl. oben Note 19). Hauptbeispiel bieten die Eisenbahnen nach H.G.B. $ 453.
Die Eisenbahn erfüllt die ihr auferlegte Pflicht, „die Übernahme von Gütern zur
Beförderung nicht zu verweigern“, dadurch, daß sie den Frachtvertrag mit dem
Anforderer abschließt. Tut sie das, so ist ihre Frachtführerpflicht ganz dieselbe,
wie wenn sie den Vertrag geschlossen hätte unter Umständen, wo sie die An-
nahme hätte verweigern können (H.G.B. $ 453 Abs. 2). Tut sie es nicht, so
kommt ein Nutzungsverhältnis nicht zustande: der Kontrahierungszwang begründet
dann nicht etwa selbständig eine gesetzliche Obligation, die Beförderung des
Gutes auszuführen. Es entsteht nur ein Schadensersatzanspruch wegen verweigerter
Annahme ($ 453 Abs. 4), Gerade so geht es der Hauptsache nach bei der Post
her und bei den anderen öffentlichrechtlich arbeitenden Anstalten. Die Erfüllung
der Zulassungspflicht begründet ein Nutzungsverhältnis von derselben Art wie
das durch freiwillige Zulassung begründete, also kein vertragsmäßiges. Die Ver-
weigerung der Zulassung könnte nur einen Schadensersatzanspruch zur Folge
haben, mit dem es aber hier seine besondere Bewandtnis hat (vgl. unten $ 52.
I); eine selbständige gesetzliche Transportpflicht bedeutet jedenfalls der „Kon-
trahierungszwang“ hier sowenig wie bei der Eisenbahn.