8 59. Ausgleichende Entschädigung. 525
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II. Die Billigkeitsforderung wird im Volksbewußtsein immer
erst entstehen mit einer größeren Lebendigkeit der Staatsverwaltung.
welche die Untertanen in gesteigertem Maße so in Anspruch nimmt
und belastet. Sie kann dann ihre Befriedigung auch wohl erhalten
durch den guten Willen der Regierenden und ihrer Behörden,
die sich dabei von gewissen selbstgemachten Grundsätzen leiten
lassen !®,
Eine höhere Stufe bedeutet es, wenn die zu gewährende Ent-
schädigung durch Rechtsregeln bestimmt und ein Rechts-
anspruch darauf für den Betroffenen begründet wird. Die Ent-
wicklung in diesem Sinne hat sich aber bei uns keineswegs gleich-
mäßig vollzogen. Nicht bloß wurden die nötigen Rechtssätze auf
sehr verschiedenen Wegen gewonnen. Solche wurden auch
mit Vorliebe nur gelegentlich und für begrenzte Zwecke
aufgestellt. Wo dann Theorie und Praxis Lücken empfanden
— das konnte ja nicht ausbleiben —, da stopfte man sie mit dem
nächsten Material, das man zur Hand hatte: zivilrechtliche
Konstruktion muß an vielen Stellen wieder aushelfen. Öfters
kann man beobachten, daß für die nämliche Art von Entschädigungs-
fall bald die eine, bald die andere Rechtsgrundlage Verwendung
findet, oder auch mehrere zugleich nebeneinander. Das kenn-
zeichnet den Notbehelf.
Ihren Ursprung nimmt auch diese Rechtseinrichtung im Natur-
Dazwischen rächen sich dann freilich die verkannten Luftgebilde. So bei An-
schütz, wenn er (a.a.0.$.55 ff.) aufstellt: die Entschädigungspflicht des Staates
habe mit der Durchführung des Rechtsstaates und der Ordnung des Verwaltungs-
rechts ihre „Daseinsberechtigung eingebüßt“; wenn der allgemeine Entschädigungs-
anspruch im Polizeistaat „tatsächlich die Funktion einer Rechtsschutzeinrichtung
versah“, so seien jetzt wirkliche Rechtsschranken da, durch Verwaltungsgerichts-
barkeit „wirksam gesichert“. Und deshalb soll man jetzt nichts mehr kriegen.
falls man neben diesen Schranken oder über sie hinweg ungerecht benachteiligt
wird? Mir scheint das eine furchtbar blutleere Anschauungsweise zu sein. Die
praktischen Römer haben auch bei „wirksamst gesichertem“ Zivilrecht ihre con-
dietiones sine causa nicht für überflüssig gehalten. Vgl. darüber auch Perl-
mann in Grünh, Ztschft. XXXIV S. 103 £.
15 Das modicum honoris gratia possessori datum in l. 15, 2D.VI, 1 ist
eine Enteignungsentschädigung, die Anstands halber gegeben wird, ohne Rechts-
anspruch darauf. — Unter Friedrich dem Großen wurden die Manöverschäden
amtlich bezeichnet als „Nachteile, welche 3. Majestät den Untertanen zu vergüten
pflegen“. — Ähnlich steht es jetzt noch mit der Entschädigung für vorzeitige
Zurückziehung des überlassenen Postschließfaches nach Postord. $ 42 Abs. III:
„alsdann wird die erhobene Gebühr unter Umständen anteilmäßig zurück-
gezahlt“,