Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.2. Deutsches Verwaltungsrecht. (2)

5 53. Ausgleichende Entschädigung. 529 
erworbene Rechte „besondere Rechte und Vorteile“, also auch etwas anderes! 
Mir scheint demnach Graf Finkenstein an dem wirklichen Inhalt des 8 75 ganz 
unschuldig zu sein. Es handelt sich hier ganz deutlich um den oben Note 17 ge- 
schilderten Gegensatz zwischen der ursprünglichen Form der Entschädigung für 
deliktsartigen Eingriff in das „Unverletzliche“ und der späteren Form des billigen 
Ausgleichs durch die schrankenlose Staatsgewalt. Die „besonderen Rechte und 
Vorteile“ in $ 75 sind nicht mehr die strengen unverletzlichen jura quaesita des 
älteren Naturrechts. Sie werden wohl das gleiche bedeuten wie die „einzelnen 
Rechte und Vorteile“ in $ 74. 
Anschütz findet immerhin, daß das A. L.R. hier den „individualistischen 
Forderungen“ zu weit entgegengekommen war und freut sich der „harten Hand“, 
mit welcher der Staat nachher doch noch „in das abstrakte Prinzip der besonderen 
Rechte und Vorteile“ eingriff. Das wäre geschehen durch die vielumstrittene 
Kabinettsordre v. 4. Dez. 18831. 
Auf die Anzweifelungen ihrer „Gesetzeskraft* gehen wir nicht ein, sondern 
nehmen sie mit Anschütz unbedingt als rechtsverbindlich in dem, was sie will. 
Sie beansprucht aber ihrerseits nichts Neues zu schaffen, sondern will, wie sie 
sagt, lediglich sein eine „für die Gerichte abgefaßte Belehrung über den Unter- 
schied zwischen landeshoheitlichen und fiskalischen Rechtsverbältnissen“. Das ist 
sie auch, und zwar eine durchaus richtige Belehrung. Sie ist ganz und gar zu- 
gespitzt auf einen bestimmten einzelnen Rechtsfall, der sie veranlaßt hat. Im 
Kriege von 1806 hatte nämlich der Festungskommandant von Breslau die Vor- 
städte niederbrennen lassen. Daraus wurden Ersatzansprüche gegen den Staat 
vor Gericht geltend gemacht, und es kam in Frage, ob sie nicht auf A. L.R. Einl. 
$ 75 gegründet werden könnten. Hier greift nun die „Belehrung“ ein. Der Fiskus, 
sagt sie, ist nicht verpflichtet, weil er „die Akte des Souveräns nicht zu verant- 
worten hat“, noch die fiskalische Behörde zum Prozeß legitimiert, „weil sie nicht zur 
Vertretung der Hoheitsrechte des Souveräns bestellt ist“. Diese Hoheitsrechte des 
Souveräns sind in Frage, wenn es sich handelt um Ansprüche aus den „Zufällen 
des Krieges“, „aus dem Besteuerungsrechte“, um den „Abschluß von Verträgen 
mit fremden Staaten“. Zivilrecht und Ziviljustiz gelten hier nicht. Alles auch 
von unserem heutigen Standpunkte aus vollkommen zutreffend! Die ausgleichende 
Entschädigung, die natürlich hier noch unter zivilrechtlichem Namen geht, ist ein 
Verwaltungsrechtsinstitut, und Kriegführung insbesondere ist keine Verwaltung; 
vgl. oben Bd. I S. 10, hier unten $ 54 Note 24. Der völkerrechtliche Vertrag steht 
auf demselben Blatt; wegen des Besteuerungsrechts vgl. unten $ 54 Note 3. 
Nun folgt in der Kabinettsordre eine Auseinandersetzung über die Ent- 
schädigung infolge landesherrlicher Gesetzgebungsakte insbesondere. Wenn in 
83 73—75, beißt es, verfügt wird, „daß das Privatinteresse der Einzelnen (also was 
das Gesetz deren besondere Rechte und Vorteile nennt) dem Gemeinwohl auf- 
geopfert, der Einzelne dagegen vom Staate entschädigt werden müsse“, so hat 
das nicht den Sinn, „als ob der Landesherr (der Souverän) sich verpflichtete, die- 
jenigen zu entschädigen, deren Privatinteresse durch die Ausübung seiner Hoheits- 
rechte gefährdet wird“. Er „spricht als Gesetzgeber zu seinen Untertanen“, um 
zu bestimmen, „daß, wenn das Interesse der Gesamtheit der Einwohner eine 
Einrichtung in der Verwaltung erfordert, die das Privateigentum des 
Einzelnen gefährdet (wenn also nicht das Gesetz, sondern die Verwaltung den 
Schaden zufügt), die Entschädigung aus dem Gesamtvermögen (also von dem 
Binding, Handbuch. VI.2: Otto Mayer, Verwaltungsrecht. II. 2. Aufl. 34
	        
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