$ 53. Ausgleichende Entschädigung. 531
sätze“ und dergleichen, worin das alte Naturrecht nachklang ?°.
Vielfach steckt auch noch der Gedanke eines Gewohnheits-
rechts dahinter. Das Reichsgericht hat ihn noch neuerdings in
0 So die Literatur: Pfeiffer, Prakt. Ausf. III S. 288; Goenner, Staats-
dienst S. 101£.; F. F. Mayer, Grunds. d. Verw.R. S. 488f.; Haus, in Lotz
Nachrichten S. 3388; Bähr, Rechtsstaat 8. 163. Neuerdings Dernburg, Pand.I
S. 72 n.3; ihm zustimmend Regelsberger, Pand.I 8.423 („Es ist ein Grund-
satz des heutigen Rechts, daß Schädigungen der Privatrechtssphäre durch Maß-
regeln, die von den Behörden im Interesse der Gesamtheit getroffen werden, von
der Gesamtheit zu vergüten sind.“ Auch hier wird zugleich die Billigkeit an-
gerufen. Es sind immer noch die Ideen von Moser, Pütter und ihrer Zeit). —
Auch die ältere Rechtsprechung erkannte solche Entschädigungsansprüche in ver:
schiedenem Umfange an, ohne eigentliche Rechtsquelle, auf Grund solcher All-
gemeinheiten. So 0.A.G. Darmstadt 6. Okt. 1848: „aus staatsrechtlichen Gesichts-
punkten“ (Benachteiligung durch Straßenbauten); O.Tr. 28. Nov. 1859 (Str. XXXV
S. 315): „nach den Grundsätzen des gemeinen Rechts“ (Erdentnahme zur Damm-
arbeit); Erk. der Juristenfakultät Jena v. 14. Juni 1874: „ein gewisser und un-
zweifelhafter Rechtssatz der Gegenwart“ (Enteignung); R.G. 13. Jan. 1883 (Entsch.
XI S. 3): im Falle der Aufhebung eines wohlerworbenen Rechts besteht nach
gemeinem Recht „ohne weiteres ein privatrechtlicher Anspruch gegen den Staat
auf Entschädigung“; R.G. 29. Juni 1886 (Enntsch. XVI S. 161): „nach allgemeinen
staatsrechtlichen Grundsätzen“ (Aufhebung eines Kirchstuhlrechts). In neuerer
Zeit werden dabei noch naturrechtliche und Billigkeitsgedanken mehr betont. So
Bayr. Oberst.G.H. 11. Juni 1898 (Seuffert, Arch. LIH S. 4939 ff): „Es ist im
allgemeinen als leitender Grundsatz anzunehmen, daß der Staat, wenn er aus
Gründen des öffentlichen Wohles in Privatinteressen eingreift, Ersatz zu leisten
verpflichtet ist“. R.G. 11. Mai 1904 (Entsch. LVIII S. 130) gewinnt einen „all-
gemeinen Rechtsgrundsatz“ für die Entschädigungspflicht einer Kleinbahn, die
durch Funkenflug Schaden anrichtet, daraus, daß „dem Grundeigentümer durch
die Konzessionserteilung das so wesentliche Recht entzogen ist, Eingriffe in sein
Eigentum abzuwehren ... unbillig wäre es, wenn er ohne den oft schwierigen
oder unmöglichen Verschuldungsnachweis gänzlich schutzlos bliebe“. Ebenso R.G.
11. Mai 1907 (Eger, Eisenb.Entsch. XXIV S. 54).
In der ersten Auflage (Bd. II S. 349) meinte ich, solches Anrufen von „Rechts-
grundsätzen“ müsse als Bezeugung eines Gewohnbeitsrechts aufgefaßt werden;
denn nur so habe es einen Sinn. Da ich es ja mit dem öffentlichen Gewohnheits-
recht strenger nehme als andere (vgl. oben Bd. I S. 91, 1. Aufl. S. 131), konnte
ich nur dann etwas damit anfangen, wenn es sich um altes Gewohnheitsrecht
handeln sollte aus der Zeit vor der Verfassung (1. Aufl. Bd. II S. 349). Es
scheint mir aber jetzt, daß diese „Rechtsgrundsätze“ unserer Gerichte, auch ohne
den Titel Gewohnheitsrecht, geltendes Recht vorstellen, solange wenigstens, als
sie von diesen aufrechterhalten und gehandhabt werden. Eine ordentliche Rechts-
quelle ist das nicht, tut aber in der Wirklichkeit den Dienst einer solchen.
Namentlich wird es stets sehr geeignet sein, dem Billigkeitsrecht zu seiner Durch-
setzung zu dienen. Allerdings wären die Verwaltungsgerichte zu dieser Wirksam-
keit wohl noch eher berufen. Daß die Sache stark an das alte Naturrecht er-
innert, darf uns nicht stören. 348