544 Das Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
rechtlichen Natur belassen werden. So R.G. 29. Juni 1903 (Entsch. LV S. 171):
Ein Leutnant läßt Glühzünder auf ihre Brauchbarkeit prüfen und die dabei ver-
brauchten von den Pionieren wegwerfen; spielende Kinder finden einen noch nicht
explodierten und werden verletzt. Damals mußte das Gericht noch mit B.G.B.
auskommen, deshalb wurde ausgeführt: B.G.B. $$ 31 u. 89 kommen bei Aus-
übung der obrigkeitlichen Gewalt nicht in Betracht, der Leutnant sei nicht „ver-
fassungsmäßiger Vertreter“ des Fiskus. Wegen B.G.B. $ 831 sei zu unterscheiden:
Schießübungen, militärische Ausbildung überhaupt, auch Betrieb der Artillerie-
werkstätten, das gehöre noch zur „Ausübung des Hoheitsrechts“, nicht dagegen
„Handlungen, die lediglich aus Anlaß der Ausübung eines Hoheitsrechts statt-
finden, soweit der Staat dabei in privatrechtliche Beziehungen tritt“. Hier nun
ging „der ganze Auftrag des Leutnants auf Ausführung einer militärfiskalischen
Anordnung“. Sehr bedenklich! Jetzt würde ohne weiteres R.Ges. v. 22. Mai 1910
$ 1 angewendet werden. Ähnlich der Fall R.G. 30. Juni 1903 (LV 8. 232): Ein
Pferd wird vom Zollamt beschlagnahmt wegen Verdachtes der Einschwärzung;
als sich herausstellt, daß es verzollt war, wird es gleichwohl erst sechs Tage
später zurückgegeben; durch diese widerrechtliche Vorenthaltung hat der Eigen-
tümer die Nutzung so lange eingebüßt und der preußische Zollfiskus schuldet
ihm Ersatz nach code civil art. 1384. — Für manche Tatbestände, die man früher
dem Privatrecht überließ, findet man jetzt gern den Anschluß an E.G. Art. 77
mit Hilfe eines polizeilichen Gepräges, das man ihnen aufdrückt; dann ist die
„Ausübung öffentlicher Gewalt“ ja zweifellos. So R.G. 11. Mai 1904 (Fischer
Ztsehft. XXVIII S. 210): Eine Frau ist auf der schlechten Straße gestürzt;
Gemeinde zu Entschädigung verurteilt; nicht als Unterhaltungspflichtige; das ginge
nach B.G.B. $ 89 (und man käme in die Schwierigkeit, den schuldhaften ver-
fassungsmäßigen Vertreter aufzuweisen); sondern nach E.G. art. 77, weil „die mit
Ausübung der Wohlfahrtspolizei betraute Behörde es unterlassen hat, die nötige
Aufsicht zu führen und den Wegebaupflichtigen (ihre eigene Dienstherrin, die
Gemeinde) zur Instandsetzung des Weges zu nötigen“. O.L.G. Dresden 7. April
1905 (Fischer Ztschft. XXIX S. 316): Leitungsdraht der elektrischen Straßen-
beleuchtung zerreißt und beschädigt den Mann auf der Straße; nicht B.G.B. $ 89
anwendbar, sondern E.G. art. 77; denn „die Straßenbeleuchtung ist lediglich vom
Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit zu beurteilen und infolgedessen Sache
der Verwaltung der Ortspolizei“. Im Ernste ist von einer Schädigung durch die
Ausübung der Polizeigewalt hier keine Rede; aber diese ganze Gewaltsamkeit ist
ja überflüssig.
‚. Wenn die Gesetze über die Haftung des Staates bei Ausübung der öffent-
lichen Gewalt insofern befreiend wirken, als sie zivilrechtliche Konstruktionen
des Grundverhältnisses ersparen, so haben sie doch ihrerseits die Befriedigung
der in Frage stehenden Billigkeitsforderung wieder in der unangemessenen zivil-
rechtlichen Form einer Haftung des Staates für die selbständig zu beurteilende
unerlaubte Handlung des Beamten gegeben. Das läßt die alte, innerlich falsche
Unterscheidung bestehen, wonach die Haftung auf öffentlichrechtlichem Gebiete
eine andere wäre bei rechtmäßigen und bei unrechtmäßigen Eingriffen der Staats-
gewalt. Vor allem aber führt es auch weiter, als der Natur der Sache entspricht
und als man ursprünglich gewollt hat. Sobald man den Staat für den Beamten
schlechthin haften läßt auch auf öffentlichrechtlichem Gebiet, bringt man nämlich
die bedeutsame Erweiterung mit hinein, die hier für diesen besteht kraft der