5 54. Entschädigungsfälle unregelmäßiger Art. 559
die Sache irgendwie bei der Justiz endgültig erledigt, so muß sie
dafür angesehen werden, gut erledigt zu sein. Tatsächlich ist das
ja, menschlicherweise, keineswegs immer der Fall. Aber der Jurist
drückt die Augen zu, das Volk läßt es gefühlsmäßig so gelten,
und diese Selbsttäuschung ist eine sehr segensreiche Einrichtung.
Nichts wäre aber mehr geeignet, den wohltätigen Schleier zu zer-
reißen als die Zulassung von Entschädigungsklagen gegen den
Staat wegen schlechter und schadenstiftender Urteile seiner Zivil-
und Strafgerichte®.
Dazu kommen noch Gründe mehr äußerlicher Art. Vor allem
sind es ja die ordentlichen Gerichte selbst, die über die Haftungen
des Staates für derartiges Fehlgehen seiner Einrichtungen er-
kennen. Das tun gie leicht, sogar mit einer gewissen Befriedigung,
wenn es die Verwaltung ist, die fehlgegangen sein soll; für die
Behauptung, daß auch der Justiz Menschliches unterlaufen sei,
wären sie von vornherein nicht so leicht zugänglich. Dann aber
versagt hier auch sachlich das Mittel, mit welchem man in der-
artigen Fällen die Entschädigungspflicht des Staates zu begründen
wußte: er soll einstehen für das Verschulden seines bestellten
Geschäftsführers, der in erster Linie selbst haftete, beim Richter
aber ist ja von jeher diese Haftung aus guten Gründen auf das
äußerste beschränkt: sie tritt nur ein, wo er eigentlich aufhört
Richter zu sein und den Staat als solcher vertreten zu wollen.
Es ist bezeichnend für die zunehmende Kraft der Billigkeits-
forderung, daß sie in neuerer Zeit auch diesen um die Justiz ge-
zogenen Schutzwall durchbrechen konnte. Das beschränkt sich
allerdings auf die Strafrechtspflege. Bei der Zivilrechtspflege
fallen die Mißstände nicht in solchem Maße auf das öflentliche
Gewissen. Schon die Grundrechte von 1848 $ 8 hatten staatliche
Schadloshaltung für „widerrechtliche“ Gefangenhaltung verlangt.
Einzelne Staaten hatten in ihren Strafprozeßordnungen dem ent-
sprochen. Jetzt hat sich auch die Reichsgesetzgebung der Sache
angenommen. Das geschah nicht in Form einer Anwendbarerklärung
der aus jener Forderung sich ergebenden allgemeinen Entschädigungs-
pflicht. Nur die gröbsten und augenfälligsten Beispiele hat man
herausgegriffen. Es kommen in Betracht die Reichsgesetze vom
20. Mai 1898, betr. die Entschädigung der im Wiederaufnahme-
8 Über die verschiedenen Argumente, mit welchen man diesen merkwürdigen
Ausschluß der Entschädigung zu rechtfertigen bemüht war: Pfeiffer, Prakt.
Ausf. II S. 861; Sundheim, Schadensstiftung durch Staatsbeamte $ 12;
Loening, Haftung des Staates 8. 98.