$ 58. Die Gemeinde. 641
kenn! Sie ist für ihr Gebiet das ihm besonders zugehörige
öffentliche Gemeinwesen, wie der Staat das allgemeine ist
für das Ganze und über dem Ganzen !.,
2. Vom Staate, mit dem sie in ihrer rechtlichen Gestaltung
so viele Ähnlichkeit aufweist, unterscheidet sich die Gemeinde
durch die verhältnismäßig geringere Macht und Kraftentwicklung:
kleineres Gebiet,. geringere Zahl der Mitglieder, engerer Kreis der
Aufgaben und Zuständigkeiten. Das wäre zunächst nur eine Grad-
verschiedenheit. Sie nimmt bei den oberhalb der Gemeinde ein-
gerichteten gemeindeartigen Körperschaften, Gemeindever-
10 Das Umfassende der Aufgabe ist es, was hier die Gemeinde auszeichnet,
nicht die besondere Rechtsnatur derselben. Württ. Verw.Ed. v. 1. März 1822 $ $:
„Jede Gemeinde hat das Recht, alle auf diesen Gemeindeverband sich beziehenden
Angelegenheiten zu besorgen“. Es geht freilich zu weit, wenn ihr G. Meyer-
Anschütz, St.R. $ 1 n.1, eine „sachliche Unbegrenztheit des Wirkungskreises“
zuschreibt. Die dort in Note 1 versuchte Salvierung: „Das Wort ‚Unbegrenztheit‘
ist hier nicht im ‚aktuellen‘, sondern im ‚potentiellen‘ Sinne zu verstehen, hilft
nichts: auch ‚potentiell‘ gehört solche Unbegrenztheit nur dem Staate, Richtiger
Rosin, in Annalen 1883 S. 292: „Innerhalb der einander gegenüberstehenden
Sphären der lokalen Gemeininteressen einerseits und der nationalen andererseits
kommt sowohl der Gemeinde als dem Staate die Totalitätder Gemeinzwecke
zu“. Dabei „steht der Gemeinde ebenso wie dem Staate die Kompetenz-Kom-
petenz, d.h. die Fähigkeit zu, die potentielle Totalität ihres Zweckes mehr und
mehr aktuell zu erschöpfen“. Die Gemeindegewalt bezeichnet lediglich diese
umfassende Betätigung öffentlicher Verwaltung. Es geht wieder zu weit, wenn
Rosin, Öff. Genossensch. S. 44, für die Gemeinde geradezu ein „Herrschen“ im
Gebiet in Anspruch nimmt. Etwas milder Jellinek, Subj. öff. Rechte S. 275 ff.:
Die Gemeinde „übt Herrschaftsrechte aus“, aber „sie herrscht nicht“. In Wahr-
heit kann nur beim Staate von Herrschen und Herrschaft ausüben die Rede sein.
Dadurch, daß solche übertriebene Aussprüche möglich sind, wird aber wenigstens
die allgemeine Machtstellung der Gemeinde in ihrem Gebiet gut beleuchtet.
1 Rosin, Öff. Genossensch. S. 42f. Nach Gierke würde Gemeinwesen
den Gegensatz bilden zu Einzelwesen und gleichbedeutend sein mit der „Gesamt-
person“, jenem Produkte der zusammenfließenden Einzelwillen, wie es die Ge-
nossenschaftstheorie herzustellen vermag (Genossensch.Theorie S. 51 u. 176 ff.).
Dagegen mit Recht Hoelder, Nat. u. jurist. Pers. S. 156: „Der Name ist nichts
anderes als eine Verdeutschung von res publica und bezeichnet ein besonderes
‚Wesen‘ lediglich im Sinne eines Inbegriffs von Angelegenheiten“. Das Wort be-
deutet aber, wie Hoelder weiter unten (S. 170) selbst ausführt, zugleich auch das
Volk und seinen Staatsverband, durch welchen diese Angelegenheiten besorgt
werden. Wir werden also sagen: das Gemeinwesen, das „gemeine Wesen“, wie
man früher sagte, ist der Inbegriff der Angelegenheiten einer Volksgemeinschaft
samt den zu ihrer Besorgung getroffenen Einrichtungen. Diese Einrichtungen
brauchen aber nicht nach dem Muster der römischen Republik gestaltet zu sein,
auf welches Hoelder Bezug nimmt: auch der Staat Friedrichs des Großen war
ein Gemeinwesen.
Binding, Handbuch. VI.2: Otto Mayer, Verwaltungsrecht. II. 2. Aufl. 41