8 35. Das Öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang. 85
Ihr gehört zweifellos die Zukunft. Wenn sie tatsächlich zur-
zeit noch nicht zur Herrschaft gelangt ist, so erklärt sich das aus
dem unfertigen Zustand unseres jungen Rechtszweiges und der
noch recht weitverbreiteten Unklarheit darüber, worum es sich hier
handelt. Bei keinem unserer Rechtsinstitute ragen aber auch noch
so stark die Spuren früherer Entwicklung herein, um das folge-
richtige Durchdenken des Neuen zu erschweren. Die Aufdeckung
der verschiedenen Fehlerquellen ist nicht schwer. Sie ordnen sich
nach ihren geschichtlichen Zusammenhängen:
1. Zunächst ist es Tatsache, daß selbst‘ die alte Lehre von
der Öffentlichen Sache als einer res nullius noch ihren Schatten
wirft auf das Urteil unserer Juristen. Nicht als ob sie noch eine
nennenswerte Auhängerschaft fände. Im Gegenteil, man will ein
echtes, kräftiges Eigentum des Staates; das wäre soweit ganz gut.
Allein nun hatte es sich ergeben, daß jene ältere rechtswissenschaft-
liche Behandlung der öffentlichen Sache, die ja ihre Nachklänge
noch nahe an die Gegenwart heranschickt, die hoheitliche Be-
tätigung des Staates an dieser res nullius auch als eine Art Eigen-
tum zu bezeichnen anfıng. Natürlich war das kein richtiges Eigen-
tum; solches konnte ja der „eigentliche Staat“ gar nicht haben.
Man nannte es Öffentliches Eigentum, verstand darunter aber ein
„mehr polizeiliches Recht“, sprach von „gemeinem Eigentum“, das
die Sache doch als res nullius fortbestehen ließ, von einem „bloß
lichen Wege betreffenden Angelegenheiten herbeigeführt werden könnte, als es jetzt
möglich ist.“ Allein es sei „schon mit Rücksicht auf den bestehenden Rechts-
zustand nicht angängig, die auf dem Boden des französischen Rechts durch aus-
drückliche Gesetzesvorschrift wurzelfest gemachte Lehre vom öffentlichen Eigen-
tum (domaine public) nach Deutschland zu verpflanzen“. Jener „bestehende
Rechtazustand® ist aber nichts anderes als eine völlig unzulängliche Theorie, und
die Lehre vom öffentlichen Eigentum beruht auch in Frankreich keineswegs auf
ausdrücklicher Gesetzesvorschrift — code civil Art. 599 sagt doch tatsächlich von
seinem „domaine public“ nicht viel mehr als A. L.R. von seinem „gemeinen Eigen-
tum des Staates“; vgl. auch unten Note 38 —, sondern lediglich auf den Sinn,
welche die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der
ganzen von ibnen vollzogenen Ausbildung des neuen Verwaltungsrechts dem Worte
„domaine public“ beigelegt haben. Falls diese Lehre wirklich auch bei uns ge-
eignet ist, „eine einfachere und gleichmäßigere Beurteilung aller die öffentlichen
Wege betrefienden Angelegenheiten herbeizuführen“, so liegt darin nach Lage der
Sache für den wissenschaftlichen Mann eine Pflicht, sie anzunehmen. — Das
Reichsgericht beginnt sich für die Idee des öffentlichen Eigentums etwas zugäng-
licher zu erweisen, wenigstens bei Sachen der Rheinprorinz: R.G. 6. Okt. 1905
(Entsch. LXI 8. 322), 10. Juli 1908 (Eger, Eisenb.Ent. XXV S. 280), 1. Okt. 1912
(Entsch. LXXX S. 129.