— 1022 —
nur einen Blick aus ihren schönen blauen Augen zu erbeuten und
dafür ihr ganzes Herz ihr vor die Füße zu legen. Doch nur einer
hatte ihr Herz gewonnen, und sie liebte ihn mit der ganzen Glut,
welche dem tiefen Gemüte der Frauen eigen ist und welche täglich
durch den Gedanken, daß man wieder warm und feurig geliebt
werde, zu immer größeren Flammen angefacht wird. Der Glück—
liche, der der Reinen Herz gewonnen hatte, war der junge Graf
Otto von Stubenberg. Er war von Gestalt ein Adonis, braune
Locken fielen wallend auf seine Schultern herab, und sein Wuchs
war hoch und schlank wie eine junge Eiche. Sein Auge war
feurig, denn in ihm wohnte ein wacherer und mutiger Geist,
der für das Edle entflammt war und in dem mit glühenden
Zügen eingegraben stand: „Gott und mein Recht!“ — Sein Arm
war stark, und in allen Gauen des Vogtlandes wußte Reiner so
gut das Schwert zu schwingen oder die Lanze im Turniere zu
führen, wußte keiner so gut in den dunklen Forsten den Eber zu
erlegen oder den Bären darniederzuwerfen, wie Otto von Stuben-
berg. Sein ganzes Wesen verklärte wie die Sonne die reine, keusche
Minne, und wie ein Kleinod trug er das Bild Rosamundens in
seinem Herzen.
Tag für Tag stellte sich der Jüngling auf dem Schlosse ein,
und ihre Tage flossen, von Liebe bekränzt, leicht und schnell dahin.
Zwar waren der Bewerber viele und unter ihnen reichere und an-
gesehenere Herren als Otto, aber sein edler Sinn bewirkte, daß ihm
alle freiwillig den Borrang räumten. Aur einer wollte nicht weichen:
Herr von Römer nennt ihn die Sage, dessen Geschlecht, eines der
ältesten des Vogtlandes, alle anderen an Reichtum und Glanz über-
strahlte. Er war zwar auch schön und wohlgewachsen, aber seine
Seele war schwarz und heimtüchisch. Rosamunde konnte ihn nicht
lieben, denn nichts war ihr mehr zuwider, als List und Verstellung.
Lange lebten die beiden Liebenden glücklich im Wonnerausch
ihrer jungen Seligkeit, und schon sollte in den nächsten Monaten
die Hochzeit mit allem Glanze der damaligen Zeit gefeiert werden.
Da erschien eines Tages ein kaiserlichen Herold, alle Ritter auf-
fordernd, dem Heere des Kaisers zuzuströmen, der übers Meer ziehen
wolle, um den Ungläubigen das Gelobte Land zu entreißen, das sie
widerrechtlich im Besitz hätten. Entflammt von Tatenlust eilte die
Blüte der Ritterschaft herbei und ließ sich das Zeichen des Kreuzes