— 1075 —
1267. Das Veilchen vom Czorneboh.
Gräße, Bd. IIL, Nr. 779; poetisch behandelt von Kockel bei Röhler, Der
Czorneboh, Bautzen (1853), S. 43 ff.
Als noch das Wendenland im heidnischen Aberglauben ver-
sunken war, da verehrten die Sorben einen Götzen, Czorneboh, von
dem der Berg den Namen hat, weil er hier oben ein prächtiges
Schloß bewohnte. Derselbe hatte aber ein liebliches Töchterlein, das
er höher schätzte als alle seine Schätze. Wie nun aber das Christen-
tum sein Licht auch in diese Gegend trug, da wußte er, daß sein
Reich auf dieser Welt zu Ende war, und als das Kreuz zum ersten
Male auf dem Berge erglänzte, da war der Götze zu Stein ge-
worden und mit ihm sein stolzes Schloß; sein reizendes Töchterlein
aber ward in ein bescheidenes Beilchen verwandelt. Alle 100 Jahre
einmal in der Walpurgisnacht erwacht die Jungfrau zum Leben,
und wem es beschieden ist, das Beilchen in diesem Augenblicke zu
pflücken, der erhält die holde Jungfrau mit allen Schätzen ihres
Vaters.
1268. Die Totenlinde zu Uhyst am Taucher.
Pilk im „Sächsischen Erzähler“ (Bischofswerda), Belletristische Beilage vom
17. März 1894; vergl. Haupt und Schmaler, Volkslieder der Wenden
(Grimma 1841), S. 37.
Einen Platz zu Uhyst beschattete ehedem der mächtige Wipfel
einer alten Linde. Das Andenken an die letztere soll noch jetzt im
Volke unverwischt fortbestehen. Man nannte sie die Mord= oder Toten-
linde. Von ihr geht folgende ergreifende Sage:
Unter diesem Baume befand sich einst das Lieblingsplätzchen
einer gefeierten Schönheit. Eine Jungfrau von Uhyst war es, welche
alle Töchter des Landes an körperlichen Reizen überstrahlte. Der
Zauber ihrer Anmut lochte denn auch viele Bewerber, darunter man-
chen aus edelstem Geschlechte, herbei. Einst nahten wiederum auf
hohen Rossen zwei adelige Herren. Des Herzens sehnend Verlangen
trieb die blühenden Jünglinge zu der Schönen von Uhyst. Ans
Fensterlein des Schenkhauses setzten sie sich, zur Seite der Viel-
begehrten. Als nun beide in heißer Liebesglut um ihre Hand sich
bewarben, da gab die Jungfrau scherzhaft wohl den Rat, die Freier
68“