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bedürfen, daß solche Sagen in Beine verständige Sammlung ge-
hören, die ihre Wesenszüge aus den Vorstellungen einer inter-
nationalen Kultur oder aus gelehrten Einzelstudien nehmen. Denn
um es nochmals zu wiederholen: die Volkssage soll erkennen
lassen, was eine Gesamtheit bewegt, und nicht, welche Gedanken
die Seele eines einzelnen erfüllen. Wenn ein schriftgewandter
Mann aus dem Volke die abergläubischen Vorstellungen seiner
Heimat und seiner Zeit um einen wirklichen oder erdachten Vor-
fall gruppiert, so hat diese voltsmäßige Sage Anspruch auf die
Beachtung des Forschers. In dieser Weise scheint die Mehrzahl
der Sagen in dem eingangs erwähnten Büchlein: Aberglaube
im Erzgebirge vor 50 Jahren, entstanden zu sein. Es ist das
echtes Sagengut. Und wenn sich beispielsweise vor 120 Jahren
in Lugau (Erzg.) mehrere Männer verbanden, um unter Anwen-
dung der im Volke umlaufenden mythischen Anschauungen einem
leichtgläubigen Bauern den Teufel vorzugaukeln und ihn um sein
Geld zu betrügen, so hätte ihr Treiben als eine rechte Sage im
Gedächtnis der Nachkommen fortleben khönnen, wenn nicht ein
beherzter Begleiter jenes Bauern dem Bösen die Hörner ab-
geschlagen hätte (siehe Unger, Lugau in alter und neuer Zeit,
Lugau o. J. I1894], S. 26 ff.). Auf ähnlichen Vorfällen be-
ruht wohl manche Gespenster= und Schatzsage auch im vor-
liegenden Buche. (Man vgl. die Anmerkung zu Nr. 339; zu
Nr. 344 aber die Mitteilung in Schumanns Staats-, Post-
und Zeitungslexikon, V, S. 629; ferner das „Glückauf!“ XII,
S. 78 ff. u. a.)
Wenn dagegen Haupt (Sagenbuch, I, 1) eine Sage von
Gott Schwabus erzählt, oder Gräße (a. a. O., Nr. 301) von dem
heiligen Haine des Gottes Schwantewit zu Schmannewitz bei
Oschatz berichtet, so ist das gelehrte Fabelei, mit der der Volks-
geist nichts gemein hat. Der Götterhimmel des sächsischen Volkes
ist sehr dürftig besetzt.
Wollte man die sinnlose Ableitung des Wortes Dresden
aus einem pseudoslavischen trasi = Fähre, die noch immer in
den Köpfen mancher Gebildeten spukt, in der Form der Sage