Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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bieten, daß vor alters an der Stelle der heutigen Stadt eine 
Uberfahrtsstelle der Wenden gewesen sei und der Ort davon 
heute noch Dresden heiße, so würde man sich am Volksgeiste 
versundigen. Echte Sage aber ist es, wenn man erzählt, 
daß einst ein Wettiner dem Orte einen Namen geben wollte 
und dazu das erste Wort bestimmte, das er beim Einreiten 
durchs Tor höre; wobei dann ein Maurer seinem Genossen 
mit Beziehung auf einen fortzubewegenden Stein gefragt habe: 
Drehst'n oder wendst'n? Diesen Volkswitz hat auch nur ein 
müßiger Kopf erfunden, aber er ist im Sinne der Alenge 
gedacht. 
Jch bin mir wohl bewußt, daß auch in meinem Buche die 
Scheidung der Sagen nach den erörterten Grundsätzen nicht 
immer gelungen ist; den Versuch aber wird man als berechtigt 
anerkennen müssen. Den Ausschlag kRann in letzter Linie immer 
nur das feine Gefühl des in langer Arbeit geschulten Samm- 
lers geben, wie denn ein poetischer Sinn für den echten Volks- 
forscher unerläßlich ist. Micht aus Büchern wird der Volksgeist 
begriffen, sondern im lebendigen ununterbrochenen Verkehr mit 
dem Volke. Elüchlicherweise gibt es endlich noch ein sicheres 
Erkennungszeichen für die Echtheit einer Sage. Es ist die emp- 
fängliche oder ablehnende Haltung des Volkes selbst. Ein ein- 
ziges Beispiel mag das beweisen. Vor etwa 60 Jahren versuchte 
C. J. Hofmann in seinem Buche: Das Aleißner Hochland, Lohmen 
1842, den Rübezahl des schlesischen Gebirges in die Sächsische 
Schweiz einzuschmuggeln. Diese plumpe Verpflanzung in ein 
Volkstum, das jenen Berggeist Kaum dem Namen nach hennt, 
schien zu gelingen. Denn die neue Rübezahlsage ging in ver- 
schiedene Sagenbücher der Sächsischen Schweiz über, und obwohl 
Prof. Ruge und ich an mehreren Orten (siehe Mlitteilungen des 
Vereins für Sächsische Bolkskunde, Bd. l, Heft 2, S. 9 ff.) vor diesem 
„Rübezahlschwindel“ gewarnt haben, hat jene Sage sogar Auf- 
nahme in das in Sachsens Volssschulen gebräuchliche Lesebuch 
„Die Muttersprache"“, Ausgabe B, Teil III gefunden. Unser Eifer 
war also umsonst; er war aber auch überflüssig. Das noch sagen-
	        
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