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Jüngling ahnte Unheil. Eilig und mit angstschlotternden Knieen
stieg er herab. Kaum hatte er den Fuß von der letzten Sprosse
gesetzt, da ertönte ein furchtbarer Krach. Das Schloß war ver—
schwunden, die Leiter im Umfallen zerschellt.
Jenem Burschen ist darauf zu drei verschiedenen Malen, als
er in der nun ebenfalls weggerissenen Schäferei für seinen Vater
den Aachtwachdienst versah, die weißverschleierte Jungfrau erschienen.
Jedesmal wollte sie ihm einen Brief überreichen, er aber weigerte
sich, denselben anzunehmen. Vergeblich streckte sie ihm mit innig
bittender Gebärde das Schreiben entgegen; er verbarg wie in scharfem
Mißtrauen die Hände in den Taschen seines Gewandes. Als sie
zum dritten Male dem mit Laterne und Wächterhorn versehenen
jungen Manne nahte, ließ sie sich auf die Knie vor ihm nieder,
schlug den ihr Antlitz verhüllenden Schleier zurück und blickte mit
unergründlich schönen Augen so flehentlich zu ihm auf, daß das
Sonntagskind in verzehrender Glut der Liebe sie betrachtete. Doch
das dargereichte Blatt ergriff der Jüngling abermals nicht. Da
zerfloß die holde Unerlöste vor ihm in Nebelduft. —
252. Flemmings Gruft in Putzkau.
Pilk im „Sächsischen Erzähler“ (Bischofswerda), Belletristische Beilage vom
8. Oktober 1892.
An die Ruhestätte eines alten Gutsherrn von Putzkau, des
Kabinettsministers und Generalfeldmarschalls Jahob Heinrich von
Flemming, welcher in einer Gruft der Ortskirche begraben liegt,
knüpft sich folgende Sage: Einst hatte ein Mädchen auf der Nord—
seite des Friedhofes Gras gemäht und in ihrem Korbe aufgehäuft.
Als sie die Last ohne fremde Hilfe nicht emporzuheben vermochte,
ergriff sie in Spottlust den Rechen, klopfte damit in die GEruft-
öffnung und rief: „Du da unten, komm heraus und hilf mir den
Korb aufhalsen!“ In demselben Augenbliche wurden ihre GElieder
starr, sie war an den Platz festgebannt und konnte sich weder rühren
noch regen. Auf ihr kRlägliches Wimmern hinzugekommene Leute
riefen den Pfarrer herbei. Letzterer erschien sogleich in seinem All-
tagsgewande und versuchte durch ein Gebet den Zauber zu lösen.
Doch vergebens. Da begab er sich wieder heim, schlüpfte in den