Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— 187 — 
mancher, der nachts von Gaußig nach Aeukirch wanderte, will sie 
gesehen haben, wenn sie unter schmerzlicher Gebärde mit ihren 
schönen weißen Fingern nach dem Halse zeigten, wo an der Stelle 
der Hagebuttenkette der rote Blutstriemen des Henkerschwertes sicht— 
bar war. Einst kehrte ein Musikant, der in Gaußig zum Tanze 
aufgespielt hatte, mit einer Tasche voll harter Taler nachts nach 
ANeukirch zurück. Als er auf dem gewöhnlichen Fußwege über die 
Bergwiese hinangestiegen war und nun mutterseelenallein das Dunkel 
des Waldes betreten mußte, in welchem nicht weit abseits zur Linken 
das Raubschloß liegt, zog er vorsichtigerweise seinen A#chfänger oder, 
wie die Oberlausitzer sagen, den „Eibögrich“ (das Mlesser zum Ein- 
biegen, Zusammenklappen) aus der Tasche. Alit gemessenen Schritten 
ging er vorwärts. Da auf einmal ließ ihn der Schreck wie erstarrt 
stehen bleiben, denn auf dem schmalen Waldwege, unweit der 
Kreuzung, Kkam ihm eine weißverschleierte weibliche Gestalt, der 
ein großer Jagdhund folgte, entgegengewandelt. Deutlich erkannte 
er beim Licht des letzten Mondviertels, welches matt durch das 
Gezweig schimmerte, daß das Wesen nach der Tracht der Gewänder 
ein Burgfräulein vom Gichelsberge war. Bäher und näher schwebte 
es heran. Jetzt sah er die Heckenröschen in dem hellblonden Haar, 
jetzt auch den roten Ring um den weißen Hals. Aur noch ein 
Schritt, und er fühlte sich von einem Arme angestoßen. In dem- 
selben Augenbliche fiel der Gestalt der Kopf ab und zu Boden. 
Todesbleich vor Angst dachte der Spielmann: Was wird wohl nun 
geschehen? Da schrumpfte vor seinen Augen das Phantom zusammen, 
wurde immer kleiner, bis es sich in einen leichten Schemen auf- 
löste, der in der NRichtung nach dem Raucschlosse entschwebte, 
während der Hund demselben in eiligstem Laufe nachsetzte. 
254. Die Hand am Glockenstrang. 
Pilk im „Sächsischen Erzähler“ (Bischofswerda), Belletristische Beilage vom 
18. August 1894. 
In Aeukirch mußten früher Knaben zur Unterstützung des 
Glöckhners das Geläut besorgen helfen. Unter diesen war einer 
Namens Mierbach. Derselbe entleibte sich später aus Furcht vor 
einer zu erwartenden Strafe und wurde in dem südwestlichen Winkel
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.