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streitig als Tür zu dem größtenteils mit Erde und Steinen ange—
füllten Gewölbe geführt hatte. Das hieß der Rabenstein. An seine
Trümmer, die man jetzt nicht mehr sieht, knüpft sich eine Sage,
und noch heute wird der Ort nicht für geheuer gehalten, denn in
der Dämmerung soll sich daselbst zuweilen eine weiße Gestalt blichen
lassen. Jene Sage aber lautet also:
Einst soll ein Bürgermeister von Bautzen eine wunderschöne
Tochter gehabt haben, um deren Hand die reichsten und schönsten
Jünglinge der Stadt und Umgegend vergebens warben. Vorzüglich
bemühte sich ein reicher Kaufmannssohn, der aber freilich von seiten
seines Charakters nicht das beste Lob hatte, ihre Liebe zu gewinnen.
Da er ein schöner Mann war und seine Verhältnisse glänzend, so
hätte es ihm vielleicht geglückt der Jungfrau Herz zu erobern, allein
da begab es sich, daß dieselbe eines Morgens den NRabenberg er-
stieg, um sich an der herrlichen Aussicht von diesem Punkte aus zu
erfreuen und hier einem fremden Ritter begegnete, der sie um den
nächsten Weg nach der Stadt fragte. Noch nie hatte der Anblick
eines Mannes einen so tiefen Eindruck auf ihr reines Gemüt ge-
macht als in diesem Augenbliche, und als nun an demselben Tage ihr
Bater ihr denselben Jüngling als einen an den Nat der Stadt ge-
sendeten Kaiserlichen Gesandten vorstellte, widersprach sie ihm nicht, als
derselbe von gleicher Meigung entzündet, ihr sein Herz und seine Hand
anbot. Nicht lange dauerte es, so ward die Hochzeit der beiden
Liebenden gefeiert; nur ein Mensch schwur ihnen Rache, und dies
war der zurüchgewiesene Freier. Derselbe verheiratete sich bald dar-
auf selbst und schien allen Gedanken an seine frühere Geliebte
entsagt zu haben. Da begab es sich einst, daß der Gemahl der
schönen Bürgermeisterstochter zum Kaiser entboten ward und sie mit
ihrem Knäblein, das sie demselben Rurz zuvor geboren, allein zu
Hause war, da sie ihre Dienerin zu einer Vergnügung entlassen
hatte. Diese Gelegenheit benutzte jener tüchische Bösewicht, schlich
sich ins Haus, und während Akutter und Kind im süßen Schlafe
lagen, ermordete er gefühllos das unschuldige Wesen. Als nun aber
das unglüchliche Weib erwachte und ihr Kind im Blute sah, da
vergingen ihr die Sinne, und als sie wieder zu sich kam, fand sie
sich im Kerker wieder. Sie hatte in der Fieberhitze sich als Mär-
derin ihres Säuglings angeklagt, und unbarmherzige BRichter ver-
urteilten sie schonungslos zum Tode, denn da ihre Eltern gestorben