Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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283. Die weißze Frau bei Oehna. 
Serbske Nowiny 1857, S. 116 ff., übersetzt von Dr. Pilk. 
Wer von Bautzen nach Oehna geht, den führt der Weg an 
der Pulvermühle vorbei. A-eben der Pulvermühle aber, auf den 
Oehnaer Bergen und auf den nahen Feldern bis zu den Teichnitzer 
Rainen zeigt sich „die weiße Frau“. 
Vor (nun etwa) hundert Jahren ging ein Mann aus der Seidau 
jeden Freitag nach Oehna nach Buttermilch. Als er eines Freitags zur 
Pulvermühle kam, sah er zur Linken inmitten zweier Steine eine 
weiße Frau sitzen, welche ihm mit dem Finger winkte. Er aber 
ging nicht zu ihr hin, sondern setzte seinen Weg fort, ohne sich weiter 
etwas dabei zu denken. 
Aach einer Woche ging er denselben Weg und sah wieder 
die weiße Frau sitzen und ihm zuwinken. Er dachte, daß es viel- 
leicht ein lasterhaftes Frauenzimmer sei, deshalb rief er: „Ich habe 
selber eine Fraul“ Als er nach Oehna kam, erzählte er, was er 
schon zwei Freitage hintereinander gesehen hatte. Dort wurde ihm 
gesagt, daß dies keine Verführerin, sondern ein Geist sei, der sich 
schon andere Male gezeigt habe, und er solle, falls er ihm wieder 
erschiene, dorthin gehen, weil er zu seiner Erlösung bestimmt sein 
könne. Und wirklich; so war es auch. Denn als er nach acht⅜t 
Tagen wieder nach Buttermilch ging und an jene Stelle kham, 
wurde ihm von der weißen Frau gewinkt, und jetzt trat er zu dem 
Steine, wo sie saß. Als er zu ihr Ram, erhob sie sich wie ein 
großes Frauenzimmer, begann mit ihm zu reden und lockte ihn, 
daß er mit ihr ging. Er aber erschrak sehr vor ihr und wollte 
nicht mitgehn, denn sie hatte eine wunderlich spitze Zunge und 
Augen wie Feuer. Da bat sie ihn weinend, daß er sie erlöse, weil 
sie sonst noch hundert Jahre warten müsse, ehe jemand in solchem 
Zeichen geboren werde. Er aber erbarmte sich nicht über sie, und 
deshalb geht sie noch jetzt dort um. 
Oehnaer Burschen gingen einst nach Salzenforst zu Tanze und 
verabredeten, daß sie sich in Teichnitz versammeln wollten. Als nun 
der Schäfer allein ging und in das sogenannte „Krebsthal“ Ram, sah 
er vor sich ein Frauenzimmer und eilte, daß er sie einholte, und 
als er sie erreichte, erfaßte er sie mit den Händen und sagte zu 
ihr: „Guten Abend, Müädchen“, und in demselben Augenblicke
	        
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