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683. Die unheimlichen Gäste in Werda.
Gräße, Bd. II, Nr. 665; Köhler, Aberglauben usw., S. 537.
In dem Dorfe Werda bei Oelsnitz lebte ein junger Mann,
der saß an einem Sonntagsabende im Winter ganz allein zu Hause
und hatte ein Buch aus einem alten Schranke zur Hand genommen,
um darin zu lesen. In dem Buche aber waren verschiedene Zeichen
und Figuren, die er sich nicht sogleich ausdeuten konnte. Deshalb
zog er die Lampe näher an sich heran, um besser sehen zu khönnen.
Als er nun so eine Weile im Lesen und Ausdeuten vertieft war,
blichte er zufällig in die Höhe, fuhr aber wieder erschrocken zurüch,
denn zu dem kleinen Schiebefenster herein sieht ein rabenschwarzer
Mann mit grinsendem Gesichte. Der Bursche fragt nach seinem
Begehr, erhält aber keine Antwort. Nachdem er sich vom Schreck
ein wenig erholt hat, liest er ruhig weiter und ist bemüht, die
Figuren ordentlich zu deuten. Er sieht sich wieder um und wird
zu seinem Schrechen gewahr, daß zu jedem Fenster ein schwarzer
unheimlicher Gast hereinsieht. Dabei ist er auf seinem Sitze wie
festgebannt, und er kann fast kein Glied mehr regen. Jetzt will
er das Buch zumachen, denn es flimmert und tanzt ihm alles vor
den Augen. Aber wie von einer unsichtbaren Macht gefesselt, kann
er seinen Blick nicht von dem Buche abwenden, und er fängt wieder
an zu lesen. Jetzt aber entsteht im Hause ein großes Gepolter und
Getöse; auf einmal fliegt die Türe auf und ein langer schwarzer
Mann kommt zur Türe herein und bleibt in der Mitte der Stube
stehen. Der Lesende fragt zum zweiten Male, was sein Begehr sei,
erhält aber wieder keine Antwort. Dabei muß er in dem Buche
immer weiter lesen, und es dauert gar nicht lange, so geht das
Gepolter von neuem los und eine zweite schwarze Gestalt tritt in
die Stube und stellt sich neben die erste hin. Ohne von seinem
Buche aufzusehen, liest der Bursche immer fort. vetzt aber tut es
einen Schlag, daß das ganze Haus in seinen Grundfesten erschüttert
wird, Fenster und Türen springen auf, ein blitzähnlicher Schein
fährt durch die Stube, und eine dritte Gestalt, länger als die beiden
ersten und noch wilder von Aussehen, tritt dabei in Begleitung von
allerhand Tieren, als Raben, Eulen und Elstern, in die Stube und
stellt sich nun zwischen die beiden ersten hinein. Setzt aber wird's
unserem Geisterbeschwörer himmelangst, und er ruft aus vollem Halse