Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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711. Die gefesselte Schlange im Wilischberge. 
Uber Berg und Tal, 15. Jahrgang (1892), Nr. 11, S. 307. 
Auf dem Milischberge, unweit Kreischa, befindet sich eine alte 
Schachtöffnung, von der das Volk nachstehende Sage erzählt: 
Aller hundert Jahre zeigt sich in der Nähe des Schachtloches 
ein Gespenst in weiblicher Gestalt. So geschah es auch gegen das 
Ende des 18. Jahrhunderts, als ein junger Gutsbesitzer aus dem 
in der Nähe des Wilisch gelegenen Dorfe Hermsdorf in später 
Aacht auf dem Kreischaer Kirchsteige über das Gebirge seiner Heimat 
zuwanderte. Das Gespenst trat an ihn heran und begleitete ihn 
bis in seine Wohnung. Hier bat ihn die Gestalt flehentlich, sie von 
dem Banne zu erlösen, der auf ihr ruhe. Sie sei in eine Schlange 
verwandelt worden, die mit einer goldenen Kette an einen Altar 
in ihrem Schlosse gefesselt sei, und sie Kkönne nur dann von dem 
auf ihr ruhenden Banne erlöst werden, wenn eine Mannsperson, ehe 
die Mitternachtsstunde ausgeschlagen habe, die Schlange dreimal küsse. 
Geschähe dies nicht in derselbigen Nacht, so müsse sie wiederum 
hundert Jahre warten, ehe sie auf Erlösung hoffen dürfe. Auf ihre 
wiederholten Bitten entschloß sich der junge Mann, sie auf seinem 
in den Wald am Fuße des Wilisch führenden Feldwege zu be- 
gleiten. Unterwegs teilte sie ihm mit, daß die Pforte ihres Schlosses 
von zwei großen schwarzen Hunden bewacht werde. Er brauche 
sich aber nicht vor denselben zu fürchten, sie würden ihm nichts tun. 
Als er an der erleuchteten Pforte ankham, verschwand plötzlich das 
Gespenst, und der junge Alann erblickte im Hintergrunde der Pforte 
die gefesselte Schlange mit erhobenem Vorderteil ihres Leibes. Da 
hob die Turmuhr zu Reinhardsgrimma an, die Mitternachtsstunde 
zu schlagen. Die Schlange neigte dabei ihr Haupt und bei jedem 
folgenden Schlage neigte sie sich tiefer und tiefer. Aber dem jungen 
Manne graute davor, die Schlange zu Rhüssen. Als der letzte Schlag 
erklang, tat es einen Knall, das Licht erlosch, und der junge Mann 
sah sich vor der finstern Schachtöffnung stehen. So erzählten sich 
früher die Leute, die in der Nähe des Wilisch wohnten.
	        
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