Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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den Mund. Dann ist der Zauber gelöst, und ich werde mit all 
meinen Schätzen, die in diesem Berge verborgen sind, dein werden 
können. Vergiß nicht, was ich dir sagte, schweige und lebe wohl!“ 
Mit diesen Worten war sie verschwunden. Wie aus einer 
Betäubung erwacht, starrte der junge Mann ihr nach. Er glaubte 
geträumt zu haben, doch so lebhaft träumt man nicht. Mit schwerem 
Herzen stieg er nach Schandau hinab. Mein, diese liebliche Gestalt 
konnte kein böser Geist sein. Und war nicht über zwölf Tage, wo 
er sie erlösen sollte, der hochheilige Karfreitag? So entschloß er sich, 
das Werk zu versuchen. In der Zwischenzeit mied er ängstlich den 
Schloßberg. Am Gründonnerstage aber ging er zur Beichte und 
zum Abendmahle und stieg am folgenden Tage nach dem Gottes- 
dienste klopfenden Herzens zum Schloßbrunnen hinan. Mit bangem 
Munte wartete er der Dinge, die da kommen sollten. 
Plötzlich, im Tale läuteten die Mittagsglocken, wand sich zu 
seinem großen Entsetzen aus der Tiefe des Brunnens ein greuliches 
Ungeheuer hervor. Ein grünlich schillernder Schlangenleib mit häß- 
lichem Krötenkopfe, aus dessen Munde eine tiefgespaltene Zunge 
sich hervorstreckte, schob sich langsam auf ihn zu. „-un kRüsse mich," 
sprach das Ungeheuer, kam näher, erhob sich mit dem Vorderteile 
und brachte den Kopf in gleiche Höhe mit dem des Schneiders. 
Dieser hatte anfangs wie festgewurzelt dagestanden, jetzt aber wich 
er scheu zurüch, bis er plötzlich mit dem Aufschrei: „Alle guten 
Geister loben Gott den Herrn!“ die Flucht ergriff. 
„Törichter, was tust du?" rief die Schloßjungfrau dem Fliehen- 
den nach, und mit dem schmerzlichen Ausrufe: „Nun muß ich aber- 
mals 500 Jahre verzaubert bleiben!“ sank sie in die Tiefe des 
Schloßbrunnens zurüch. 
Erst nach langer Zeit wagte sich der Schneider wieder auf 
den Schloßberg, doch die Jungfrau erschien ihm nicht mehr. Er 
bereute tief, daß er nicht den Mut besessen, die Unglückliche zu er- 
lösen. Sein steter Gang am Karfreitage war auf den Schloßberg, 
und an einem Karfreitag hat man ihn auch einmal, nachdem er zu 
hohen Jahren gekommen war, dort tot neben dem Brunnen ge- 
funden.
	        
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