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gesehen; den Löser hat die Obrigkeit in einem Kästlein verwahrt
zu sich genommen.“ Hierin erblickte man eine Prophezeiung von
Unglücksfällen und Drangsalen für die Stadt, die denn auch nicht
ausblieben.
767. Der Traum auf Augustusburg.
Köhler, Sagenbuch des Erzgebirges, Ar. 387; Ziehnert, Sachsens Volks-
sagen, S. 450 ff.
Kurfürst August I., der Erbauer der Augustusburg, hatte auf
derselben ein Schlafgemach, darin zwei Betten standen, das eine für
ihn selbst, das andere für seinen Kanzler, einen Edlen von Pflug.
-eben dem Bette des Kurfürsten aber stand ein Tisch, auf welchem
stets eine aufgeschlagene Bibel lag, weil der fromme Kurfürst jedes-
mal vor dem Schlafengehen ein Kapitel aus derselben zu lesen ge-
wohnt war.
Einst schlief er ruhig in seinem Bette, da hatte er folgenden
Traum: Ein Mönch und eine Nonne traten in das Gemach und
schritten zu dem Tische, auf dem die Bibel lag und das brennende
Lachtlicht stand. Der Mönch nahm die Bibel auf und las darin,
legte sie aber bald wieder verdrießlich weg und wollte das Licht
ausblasen. Als ihm aber das trotz aller Anstrengung nicht gelingen
wollte, ward er darüber voll Arger und eilte der Türe zu. Hierauf
versuchte auch die Nonne das Licht auszublasen und blies es auch
aus, jedoch nicht ganz. Denn Raum daß sie mit dem Mlönche zur
Tür hinausgeeilt war, da entzündete sich die Kerze, an deren Dochte
noch einige Fünkchen glommen, plötzlich wieder und brannte mit
schöner, heller Flamme.
Dieser Traum schien auf den Rurfürsten einen tiefen Eindruck
gemacht zu haben, denn als er früh in der fünften Stunde erwachte,
war das erste Wort, das er nach dem Morgengruße an den Kanzler
richtete: „Ich habe einen seltsamen Traum gehabt in dieser Nacht!“
Da nun der Kanzler antwortete, daß auch er, obgleich er bis nach
M-itternacht wach geblieben, gar seltsame Dinge gesehen habe, so
tat der Kurfürst den Vorschlag, daß sie beide ihr Gesicht alsbald
aufzeichnen wollten; dies geschah denn auch, und als sie fertig,
teilten sie das Geschriebene einander mit. Wunderbar genug hatte
der Kanzler ganz dasselbe mit wachen Augen gesehen, was dem