Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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getrunken hatten, nahm Maria den Kelch und gab ihn den Aus— 
sätzigen von St. Johannes, auf daß sie ihn bewahren möchten für 
ewige Zeiten nach dem Willen des Gebers. Maria aber kehrte 
nicht zurüch nach der Stadt. Im Garten des Propstes zu St. 
Thomas war aber ein weißes Reh, das war zahm wie ein Lamm, 
lief oft ungestört durch die Straßen der Stadt, und alle Leute hatten 
das zarte Tierlein lieb. Da Maria jetzt geendet hatte, drängte sich 
das Reh von St. Thomas durch die Menge hindurch, stellte sich 
vor ihr hin und fiel nieder auf seine Knie. Und die Jungfrau 
schwang sich wie ein verklärter Engel auf des Tierleins Rücken 
und lustig sprang dasselbe nach dem Walde gen Connewitz. Die 
Jungfrau ward niemals wieder gesehen, und einige Wanderer wollten 
sie mit dem schneeweißen Reh auf dem Wege nach dem Kloster 
Paulinzell erblicht haben. Nach drei Tagen Ram aber das Reh 
wieder freudig und wohlgemut in das Tor von St. Thomas und 
sein Rüchhen war mit einem Kranze von Efeu umwunden. Jener 
Becher ist aber heute (7") noch vorhanden; er war früher in der Hütte 
des Eremiten im Tale St. Johannis bei Leipzig an dessen kleinem 
Betaltare aufgestellt. 
775. Lieschens Büsche bei Schönefeld. 
Gräße, Rd. 1, Ar. 433; novell. beh. von Backhhaus, Die Sagen der 
Stadt Leipzig, 1844, S. 130 ff. 
Vom 18. bis 20. Mai des Jahres 1593 wütete in Leipzig 
ein Pöbeltumult gegen die Calvinisten; es wurde infolge desselben 
eine Anzahl Häuser begüterter, diesem Glauben zugetaner Kaufleute 
geplündert und zerstört und dem Aufruhre nur mit Mühe ein Ende 
gemacht. Einer jener unschuldig Verfolgten, namens Eberhard Pöltz, 
war vom Nate ins Gefängnis gesetzt worden und seine Tochter 
Elisabeth nach Schönefeld geflüchtet, nachdem sie vorher alles, was 
ihr Eigentum gewesen war, der Vernichtung hatte anheimfallen 
sehen. Da Kommt die Nachricht ins Dorf, am 1. Juni solle in der 
Stadt eine Hinrichtung stattfinden. Dies war auch der Fall, es 
wurden vier jener Tumultuanten geköpft. Das verlassene Mädchen 
glaubt aber, diese Exekution gehe ihren Vater anz; sie eilt also, ob- 
gleich sie Krank und schwach ist, nach der Stadt, um denselben noch
	        
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