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dieser Erscheinung war auch deren Kommen und Vergehen. Das
Kreuz tauchte plötzlich auf, blieb dann einige Tage allen Dorf—
bewohnern sichtbar und verschwand spurlos wieder über Aacht.
Einmal wollte man den hellgrünen Widerschein seines Glanzes selbst
am Himmel über dem Weiher beobachtet haben. Alte Weifaer Leute
erzählten von diesem Kreuze folgendes:
Ein Handwerksbursche, der die Welt durchwandert hatte, kehrte
nach Weifa, seiner Heimat, zurück. Es war eine wunderschöne,
warme Sommernacht, als er vor dem elterlichen Hause anlangte.
Alles schlief bereits darin, nur das Ticken der Wanduhr ließ sich
vernehmen. Sollte er die Lieben aus der Nachtruhe ausfscheuchen,
deren die arbeitsamen Leute nach angestrengtem Tagewerk gar sehr
bedürftig waren? A-ein. Er klopfte also nicht an die Tür, sondern
schlich sich leise wieder hinweg. Wenn der erste Hahnenschrei er-
tömen würde beim Scheine des Frührots, dann wollte er ihnen mit
fröhlichem Liede, unter den Fenstern gesungen, den Schlaf von den
Lidern scheuchen und den Gruß des Wiedersehens empfangen. Zur
andern Seite des Teiches lag duftiges Heu aufgehäuft in Schöbern.
Dort am Rande des Gewässers bettete er sich zur Nachtruhe, empfahl
sich dem Schutze des Mieisters da droben über den funkelnden
Sternen und schlummerte ein. Er sollte nicht mehr erwachen. Am
andern Morgen fanden ihn die Seinen ertrunken im Weiher. Am
Ufer sah man noch das ausgebreitete Heu, das ihm zum Pfühle
gedient hatte, sein Felleisen und seinen Stoch mit dem darüber-
gehängten Hute. Die Eltern waren über den Tod des braven Sohnes,
dessen Züge sie sofort wiedererkannten, tief betrübt. Mütterchen
weinte sich schier die Augen rot, daß ihr Liebling so in nächster
Aähe hatte ein jähes Ende finden müssen. Der Vater versuchte
vergebens, ihr gramerfülltes Herz zu trösten. Als ein Jahr nach
der Unglüchsnacht verstrichen war, da saßen beide auf der Bank
vorm Hause und blichten stumm auf den Weiher, dessen tüchische
Flut den blühenden Jüngling verschlungen. Und wie sie sinnend
nach der Stelle schauten, wo man damals den Leichnam fand,
da glitzerte und leuchtete es dort mit grünem Schimmer wie
Smaragden im Lichtscheine. Ein Kreuz tauchte auf. „Dort ging
er heim!“ seufzte Alütterchen. „Die Vorsehung errichtet ihm selber
ein Gedenkzeichen,“ lispelte der Bater. Und sie weinten beide
bitterlich.
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