Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— 659 — 
dieser Erscheinung war auch deren Kommen und Vergehen. Das 
Kreuz tauchte plötzlich auf, blieb dann einige Tage allen Dorf— 
bewohnern sichtbar und verschwand spurlos wieder über Aacht. 
Einmal wollte man den hellgrünen Widerschein seines Glanzes selbst 
am Himmel über dem Weiher beobachtet haben. Alte Weifaer Leute 
erzählten von diesem Kreuze folgendes: 
Ein Handwerksbursche, der die Welt durchwandert hatte, kehrte 
nach Weifa, seiner Heimat, zurück. Es war eine wunderschöne, 
warme Sommernacht, als er vor dem elterlichen Hause anlangte. 
Alles schlief bereits darin, nur das Ticken der Wanduhr ließ sich 
vernehmen. Sollte er die Lieben aus der Nachtruhe ausfscheuchen, 
deren die arbeitsamen Leute nach angestrengtem Tagewerk gar sehr 
bedürftig waren? A-ein. Er klopfte also nicht an die Tür, sondern 
schlich sich leise wieder hinweg. Wenn der erste Hahnenschrei er- 
tömen würde beim Scheine des Frührots, dann wollte er ihnen mit 
fröhlichem Liede, unter den Fenstern gesungen, den Schlaf von den 
Lidern scheuchen und den Gruß des Wiedersehens empfangen. Zur 
andern Seite des Teiches lag duftiges Heu aufgehäuft in Schöbern. 
Dort am Rande des Gewässers bettete er sich zur Nachtruhe, empfahl 
sich dem Schutze des Mieisters da droben über den funkelnden 
Sternen und schlummerte ein. Er sollte nicht mehr erwachen. Am 
andern Morgen fanden ihn die Seinen ertrunken im Weiher. Am 
Ufer sah man noch das ausgebreitete Heu, das ihm zum Pfühle 
gedient hatte, sein Felleisen und seinen Stoch mit dem darüber- 
gehängten Hute. Die Eltern waren über den Tod des braven Sohnes, 
dessen Züge sie sofort wiedererkannten, tief betrübt. Mütterchen 
weinte sich schier die Augen rot, daß ihr Liebling so in nächster 
Aähe hatte ein jähes Ende finden müssen. Der Vater versuchte 
vergebens, ihr gramerfülltes Herz zu trösten. Als ein Jahr nach 
der Unglüchsnacht verstrichen war, da saßen beide auf der Bank 
vorm Hause und blichten stumm auf den Weiher, dessen tüchische 
Flut den blühenden Jüngling verschlungen. Und wie sie sinnend 
nach der Stelle schauten, wo man damals den Leichnam fand, 
da glitzerte und leuchtete es dort mit grünem Schimmer wie 
Smaragden im Lichtscheine. Ein Kreuz tauchte auf. „Dort ging 
er heim!“ seufzte Alütterchen. „Die Vorsehung errichtet ihm selber 
ein Gedenkzeichen,“ lispelte der Bater. Und sie weinten beide 
bitterlich. 
42“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.