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Da nun kein einäugiger Römer geboren wurde, so beschlossen
vor etwa hundert Jahren zwölf Männer, unter denen sich auch der
Pfarrer von Werdau befand, den Schatz zu heben. Ehe sie aber
ans Werk gingen, segnete der Priester sich selbst und die Teil-
nehmer in der Kirche ein, und sie nahmen darauf ein aus Wachs
geformtes einäugiges Kind mit, welches bei Kerzenlicht feierlich auf
den Namen „von Bömer“ getauft worden war. Miit brennenden
Kerzen zogen darauf alle in der Mitternachtsstunde nach dem Orte,
an welchem der Schatz verborgen war. Unter Furcht und Zittern
waren sie vor der Höhle angelangt und unter Gebet bereiteten sie
sich zum Eintritte vor. Da auf einmal tat sich mit einem furcht-
baren Getöse der rote Berg weit auf, und ein feuriger Hund kam
wie ein Löwe brüllend auf sie zu und rief: „Welchen nehmen wir
zuerst?“ Eine Stimme aus der Tiefe aber antwortete: „Den mit
dem roten Tuche!“ Wie die Männer diese schreckhaften Worte
hörten, flohen sie entsetzt und freuten sich, als sie aus dem Bereiche
des Ungetüms gekommen waren, ihres glücklich geretteten Lebens.
Sie erzählten zwar, daß sie noch im Innern des Berges die große,
mit Geld gefüllte Braupfanne gesehen hätten, doch da sie bald
darauf, einer nach dem andern, starben, so ist niemandem mehr die
Lust angekommen, den Schatz zu heben.
856. Der Schatz im Kiefrig bei Haßlau.
Köhler a. a. O., Nr. 341.
Eine halbe Stunde von Haslau entfernt liegt ein Wald, den
man nach dem Kiefernbestande das Kiefrig nennt. Hier befindet
sich ein Felsen, auf welchem einst ein Raubschloß gestanden haben
soll, und danach nennt man den Felsen jetzt auch gewöhnlich kurz
das Raubschloß. Unter dem Felsen aber soll ein großer Schatz
liegen. In dem genannten Dorfe glauben manche Leute, daß ver-
borgene Schätze am Weihnachts-Heiligenabend gehoben werden
können. Daher ging auch vor wenigen Jahren ein Oberhaßlauer
Bergarbeiter zu dieser Zeit hinaus zum Raucbschlosse, um daselbst
den Schatz zu heben. Als er die üblichen Zeichen gemacht hatte
und nun im Begriffe war nachzugraben, erblichte er auf einmal