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9. Der Bürgerausschuß ist verpflichtet, „die Einhaltung der Ver-
fassung und der auf das öffentliche Recht bezüglichen Gesetze zu über-
wachen.“1 Etwaige Verletzungen derselben hat der Bürgerausschuß,
„sofern Reklamationen beim Senat eine befriedigende Erklärung nicht
herbeigeführt haben sollten, der Bürgerschaft zur Erwägung und even-
tuell zum Behuf der weiteren, im Wege des für die Gesetzgebung vor-
geschriebenen Verfahrens einzuleitenden Maßregeln zur Anzeige zu
bringen.“2
Die fragliche Verpflichtung des Bürgerausschusses ist, wie bereits
erwähnt, der alten Verfassung entlehnt. Man hat dieselbe vielfach
für ganz besonders wichtig erachtet und sie demgemäß als die Haupt-
funktion des Bürgerausschusses bezeichnet; doch hat man dabei ihre
Bedeutung ersichtlich überschätzt.
Der Bürgerausschuß hat auf eine seiner Ansicht nach vorge-
kommene Verletzung der Verfassung oder anderer Bestimmungen des
öffentlichen Rechts aufmerksam zu machen, und zwar in der Weise,
daß er sich mit seinen rechtlichen Bedenken zunächst an den Senat und
eventuell — falls der Senat ihm nicht zustimmt, er selbst aber seine
Ansicht aufrecht erhält — an die Bürgerschaft wendet. Gelangen
seine Bedenken an die Bürgerschaft, so hat diese ihrerseits zu den-
selben Stellung zu nehmen. Ergiebt sich dann eine Meinungsver-
schiedenheit zwischen Senat und Bürgerschaft, so kann es eventuell zu
einer Entscheidung der betr. Rechtsfrage durch das Reichsgericht
kommen. (S. oben S.179 f.) Der Bürgerausschuß hat demnach nur eine
Kritik zu üben, die eventuell zur gerichtlichen Entscheidung einer nicht
1 Zu dem öffentlichen Recht pflegt man im allgemeinen auch das
Kirchenrecht zu rechnen. Bei der in Hamburg bestehenden Trennung zwischen
Staat und Kirche (s. unten § 65) können jedoch hier nur Rechtsverhältnisse zwischen
Staat und Kirche und nicht interne Rechtsverhältnisse der letzteren in Frage
kommen.
Verf. Art. 60, 5 (vgl. auch Verf. Art. 86 und unten S. 210). —
In Lübeck fehlt eine analoge Bestimmung. Im § 47 der Bremer Verfassung
heißt es: „Das Bürgeramt hat die Verpflichtung, auf die Aufrechterhaltung der
Verfassung, der Gesetze und Staatseinrichtungen fortwährend zu achten und,
wenn es Mängel oder Beeinträchtigungen wahrnimmt, der Bürgerschaft deshalb
zu berichten“.
* Vgl. H. Schulze, Deutsches Staatsrecht, Bd. 1, S. 504 f; Wolffson,
a. a. O., S. 23; v. Kirchenheim, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 1887, S. 271.
v. Melle, Hamburg. Staatsrecht. 13